Erstes Antikörper-Wirkstoff-Konjugat bei dreifach negativem Brustkrebs |
Kerstin A. Gräfe |
06.01.2022 07:00 Uhr |
Da das dreifach negative Mammakarzinom häufiger bei jungen Frauen vorkommt, sind aufgrund der höheren Dichte des Brustdrüsengewebes auch größere Tumoren mammografisch nur schwer zu entdecken. Häufig werden die Knoten von den Patientinnen selbst getastet. / Foto: Adobe Stock/Jacek Chabraszewski
Das triple-negative Mammakarzinom (TNBC) macht etwa 15 Prozent aller Brustkrebsfälle aus. Von dreifach negativem Brustkrebs spricht man, wenn die Tumorzellen weder Estrogen- (ER) oder Progesteron-Rezeptoren (PR) noch humane epidermale Wachstumsfaktor-Rezeptoren 2 (HER2) exprimieren. Damit entfallen wichtige Targets für die Tumortherapie. Im Vergleich zu anderen Brustkrebsformen hat das TNBC ein hohes Metastasierungs- und Rezidivrisiko sowie eine schlechte Prognose.
Derzeitiger Behandlungsstandard ist eine klassische Chemotherapie. Für bestimmte Biomarker-positive Subgruppen werden zudem teils ergänzend, teils als Monotherapie zielgerichtete Therapieoptionen wie Immuncheckpoint-Inhibitoren, PARP-Inhibitoren und Angiogenese-Hemmer eingesetzt. Da sie jedoch nicht bei jeder Subgruppe wirksam sind, gibt es einen hohen Bedarf an innovativen Therapieoptionen.
Sacituzumab Govitecan (Trodelvy® 200 mg Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Gilead) ist als Monotherapie zur Behandlung erwachsener Patienten mit nicht resezierbaren oder metastasierten TNBC indiziert, die zuvor zwei oder mehr systemische Therapien erhalten haben, darunter mindestens eine gegen die fortgeschrittene Erkrankung.
Sacituzumab Govitecan zählt zu den Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten. Diese bestehen aus einem monoklonalen Antikörper, der über einen Linker mit einem zytotoxischen Wirkstoff verbunden ist. Im Fall von Trodelvy ist Sacituzumab der gegen das Oberflächenantigen Trop-2 gerichtete Antikörper. Trop-2 ist bei vielen Tumoren auf der Oberfläche vorhanden. Govitecan ist die aus Linker und SN-38 bestehende chemische Einheit. SN-38 ist der aktive Metabolit des Topoisomerase-I-Inhibitors Irinotecan. Nach Bindung an Trop-2 wird der gesamte Komplex in die Krebszelle aufgenommen und zu den Lysosomen transportiert. Dort wird durch hydrolytische Spaltung SN-38 freigesetzt. Dieses verhindert die Reparatur von DNA-Schäden und führt so zum Tod der Krebszelle.
Trodelvy enthält das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Sacituzumab-Govitecan. / Foto: Gilead
Die empfohlene Dosis beträgt 10 mg/kg Körpergewicht, verabreicht als intravenöse Infusion einmal wöchentlich, jeweils an den Tagen 1 und 8 von 21-tägigen Behandlungszyklen. Um infusionsbedingte Reaktionen und Chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen zu vermeiden, wird vor jeder Behandlung eine entsprechende Prämedikation empfohlen. Die erste Infusion soll über einen Zeitraum von drei Stunden verabreicht werden. Wurde diese gut vertragen, können die folgenden Infusionen über einen Zeitraum von ein bis zwei Stunden verabreicht werden. Die Patienten müssen während jeder Infusion und mindestens 30 Minuten danach überwacht werden.
Die Behandlung sollte so lange fortgeführt werden, bis eine Progression der Grunderkrankung oder eine inakzeptable Toxizität auftritt. Die Fachinformation enthält detaillierte Angaben zur Dosisanpassung zwecks Beherrschung von Nebenwirkungen. Wurde die Dosis aufgrund von Nebenwirkungen reduziert, sollte sie nicht wieder erhöht werden.
Da das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat eine schwere oder lebensbedrohliche Neutropenie sowie schwere Diarrhö verursachen kann, gibt es je einen Warnhinweis. Trodelvy sollte nicht angewendet werden, wenn die absolute Neutrophilenzahl an Tag 1 eines beliebigen Zyklus unter 1500/mm³ liegt oder wenn die Neutrophilenzahl an Tag 8 eines beliebigen Zyklus unter 1000/mm³ liegt. Daher wird empfohlen, das Blutbild während der Behandlung zu überwachen. Sacituzumab Govitecan sollte im Fall von neutropenischem Fieber nicht angewendet werden. Bei einer schweren Neutropenie kann eine Behandlung mit einem Granulozyten-Koloniestimulierenden Faktor (G-CSF) und Dosisanpassungen erforderlich sein.
Der Warnhinweis zur schweren Diarrhö besagt, dass das neue Präparat nicht angewendet werden sollte, wenn zum Zeitpunkt der geplanten Behandlung eine Diarrhö von Grad 3 bis 4 vorliegt. Sie sollte nur dann fortgesetzt werden, wenn sich die Diarrhö auf ≤ Grad 1 gebessert hat. Zu Beginn der Diarrhö und sofern eine infektiöse Ursache ausgeschlossen ist, sollte eine Behandlung mit Loperamid eingeleitet werden.
Mit Vorsicht ist Sacituzumab Govitecan bei Patienten anzuwenden, die UGT1A1-Induktoren oder UGT1A1-Inhibitoren einnehmen, da diese die Exposition gegenüber SN-38 reduzieren beziehungsweise erhöhen.
Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und sechs Monate lang nach der letzten Dosis eine wirksame Empfängnisverhütung anwenden. Gleiches gilt für männliche Patienten mit Partnerinnen im gebärfähigen Alter während der Behandlung und drei Monate lang nach der letzten Dosis. Sacituzumab Govitecan soll während der Schwangerschaft nicht angewendet werden. Das Stillen soll während der Behandlung und nach der letzten Dosis einen Monat lang unterbrochen werden.
Die Zulassung basiert auf der randomisierten, kontrollierten Phase-III-Studie ASCENT mit 529 Patientinnen, die an nicht resezierbarem lokal fortgeschrittenen oder metastasierten dreifach negativen Brustkrebs litten. Die Gabe von Sacituzumab Govitecan als intravenöse Infusion mit 10 mg pro kg Körpergewicht an den Tagen 1 und 8 eines 21-Tage-Zyklus verlängerte im Vergleich zu einer Chemotherapie nach Wahl des Prüfarztes das progressionsfreie Überleben um etwa drei Monate (von 1,7 auf 4,8 Monate). Dies entspricht einer Reduktion des Risikos für Krankheitsverschlechterung oder Tod um 57 Prozent. Auch beim medianen Gesamtüberleben zeigte sich mit 11,8 versus 6,9 Monaten eine signifikante Verbesserung.
Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen sind Diarrhö, Übelkeit, Neutropenie, Fatigue, Alopezie, Anämie, Erbrechen, Obstipation, verminderter Appetit, Husten und Abdominalschmerz.
Neue Therapieoptionen beim triple-negativen Mammakarzinom (TNBC) sind gern gesehen. Insofern ist die Markteinführung von Sacituzumab Govitecan zu begrüßen. Grundsätzlich sind Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADC) mittlerweile nichts Neues mehr. Für die Behandlung des TNBC ist Sacituzumab Govitecan allerdings das bisher erste ADC. Zudem ist es das erste ADC überhaupt, dessen Antikörperkomponente sich gegen das Oberflächenantigen Trop-2 richtet. Allein diese beiden Punkte rechtfertigen die vorläufige Einstufung als Schrittinnovation.
Auch die Ergebnisse der Zulassungsstudie sind positiv. Trodelvy verlängerte im Vergleich zur Kontrollgruppe die progressionsfreie Überlebenszeit und das Gesamtüberleben um einige Monate. Allerdings stehen diesen Wirksamkeits-Pluspunkten stärkere unerwünschte Ereignisse in der Gruppe gegenüber, die das ADC erhalten hat. Ob eine bessere Einstufung von Sacituzumab Govitecan zukünftig erfolgen kann, wird davon abhängen, wie es sich in der Praxis bewährt und ob weitere Einsatzgebiete hinzukommen. Das ADC wird derzeit in verschiedenen Studien untersucht, zum Beispiel auch als neoadjuvante Therapie bei TNBC in der Frühphase.
Sven Siebenand, Chefredakteur