Erster Myosin-Inhibitor im Handel |
Kerstin A. Gräfe |
07.09.2023 07:00 Uhr |
Brustschmerz und Kurzatmigkeit sind unter anderem Symptome der seltenen Herzmuskelerkrankung hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie. / Foto: Adobe Stock/hriana
Bei der symptomatischen hypertrophen obstruktiven Kardiomyopathie (HOCM) handelt es sich um eine genetisch bedingte Erkrankung des Herzmuskels. Sie ist definiert durch eine dynamische Obstruktion des linksventrikulären Ausflusstrakts (LVOT). Betroffene erleiden Symptome wie Kurzatmigkeit, Schwindel und Müdigkeit. Es kann zu lebensbedrohlichen Komplikationen wie Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen, Schlaganfall und in seltenen Fällen zum plötzlichen Herztod kommen.
Ursache sind Mutationen in Genen, die für Sarkomere kodieren. Die resultierenden Veränderungen in diesen kontraktilen Proteinen führen zu vermehrt aktiven Myosinköpfen, die einen Überschuss an Aktin-Myosin-Querbrücken verursachen. In der Folge kommt es zur Überkontraktion des Herzmuskels mit anschließender Verdickung der Ventrikelwände, einer verminderten Relaxation und erhöhten Steifigkeit des kardialen Gewebes sowie zu einem erhöhten Energiebedarf.
Im Gegensatz zu bisherigen Therapien, die überwiegend symptomatisch wirken, greift Mavacamten direkt in die Pathophysiologie ein. Der Wirkstoff bindet selektiv an Myosin, wodurch weniger Myosinköpfe in einen energiebereitstellenden Zustand versetzt werden (Grafik). Dadurch verschiebt Mavacamten die gesamte
Myosin-Population in Richtung eines entspannten Zustands, reduziert so die dynamische LVOT-Obstruktion und verbessert den kardialen Füllungsdruck.
Grafik: Wirkmechanismus Mavacamten / Foto: Quelle: BMS
Mavacamten (Camzyos® 2,5 mg, 5 mg, 10 mg und 15 mg Hartkapseln, Bristol-Myers Squibb) ist indiziert zur Behandlung der symptomatischen (NYHA Klasse II – III) HOCM. Vor Behandlungsbeginn muss die linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF) bestimmt und anschließend engmaschig überwacht werden. Beträgt die LVEF < 55 Prozent, darf die Therapie nicht eingeleitet werden. Zudem sind die Patienten vor Therapiestart auf das Enzym CYP2C19 zu genotypisieren, um die Mavacamten-Dosis zu bestimmen.
Bei langsamen Metabolisierern betragen die empfohlene Anfangsdosis einmal täglich 2,5 mg und die Höchstdosis einmal täglich 5 mg. Bei den anderen CYP2C19-Metabolisierer-Phänotypen liegen die empfohlene Anfangsdosis bei einmal täglich 5 mg und die Höchstdosis bei einmal täglich 15 mg. Zudem gibt es einen gesonderten Hinweis für Patienten mit leichter und mäßiger Leberfunktionsstörung: Für sie gilt eine Initialdosis von 2,5 mg.
Die Patienten sollten vier bis acht Wochen nach Einleitung der Behandlung auf ein frühes klinisches Ansprechen untersucht werden. Sobald die individuelle Erhaltungsdosis erreicht ist, folgen alle zwölf Wochen weitere Untersuchungen. Für das weitere Vorgehen findet sich in der Fachinformation abhängig von der LVEF ein detaillierter Titrationsplan. Bei Patienten, die nach vier bis sechs Monaten mit der maximal verträglichen Dosis kein Ansprechen zeigen, sollte ein Behandlungsabbruch erwogen werden.
Mavacamten wird überwiegend durch CYP2C19 und in geringerem Maße durch CYP3A4 metabolisiert, bei langsamen CYP2C19-Metabolisierern allerdings überwiegend durch CYP3A4. Die Fachinformation listet in einer Tabelle ausführlich auf, wie je nach CYP2C19-Metabolisierer-Phänotyp bei gleichzeitiger Behandlung mit Inhibitoren beziehungsweise Induktoren von CYP2C19 oder CYP3A4 vorzugehen ist.
Kontraindiziert ist die gleichzeitige Behandlung mit starken CYP3A4-Inhibitoren bei Patienten mit CYP2C19-Metabolisierer-Phänotyp »langsam« sowie bei Patienten mit nicht bestimmtem CYP2C19-Phänotyp. Nicht angewendet werden darf Mavacamten zudem gleichzeitig mit der Kombination aus einem starken CYP2C19-Inhibitor und einem starken CYP3A4-Inhibitor.
Eine Gegenanzeige besteht darüber hinaus für Schwangere und gebärfähige Frauen, die keine zuverlässige Empfängnisverhütung anwenden. Vor Behandlungsbeginn muss ein negativer Schwangerschaftstest vorliegen und die Frauen müssen während und für sechs Monate nach dem Ende der Behandlung zuverlässig verhüten. Mütter dürfen während der Behandlung mit Mavacamten nicht stillen.
Die Sicherheit einer gleichzeitigen Anwendung von Mavacamten mit Disopyramid oder die Anwendung von Mavacamten bei Patienten, die Betablocker in Kombination mit Verapamil oder Diltiazem einnehmen, ist nicht erwiesen. Bei gleichzeitiger Gabe sollten die Patienten daher engmaschig überwacht werden.
Die Zulassung basiert auf den Phase-III-Studien EXPLORER-HCM und VALOR-HCM. An EXPLORER-HCM nahmen 251 HOCM-Patienten teil. Die Mehrheit von ihnen (92 Prozent) erhielt eine Hintergrundtherapie mit Betablockern oder Calciumantagonisten. Sie erhielten randomisiert Mavacamten in individualisierter Dosierung oder Placebo. Der primäre Endpunkt setzte sich zusammen aus dem Anteil an Patienten, die bis Woche 30 entweder eine Zunahme der maximalen Sauerstoffaufnahme (pVO2) um ≥ 1,5 ml/kg/min mit Verbesserung der NYHA-Klasse um ≥ 1 oder einen Anstieg des pVO2 um ≥ 3,0 ml/kg/min ohne Verschlechterung der NYHA-Klasse erreicht hatten. Unter Mavacamten erreichten mit 37 Prozent signifikant mehr Patienten den primären Endpunkt als unter Placebo mit 17 Prozent.
An der Studie VALOR-HCM nahmen 112 HOCM-Patienten teil, die für eine Septumreduktionstherapie (SRT) in Betracht gezogen wurden. Die Studie sollte klären, ob den Patienten mit Mavacamten dieses invasive Verfahren erspart werden kann. Die Patienten wurden im Verhältnis 1:1 randomisiert und erhielten zusätzlich zu Betablockern, Calciumantagonisten und Disopyramid als Monotherapie oder in Kombination Mavacamten oder Placebo. Der primäre Endpunkt setzte sich zusammen aus der Anzahl von Patienten, die sich vor oder in Woche 16 für eine geplante SRT entschieden, sowie der Anzahl an Patienten, die in Woche 16 in der Mavacamten-Gruppe im Vergleich zur Placebogruppe weiterhin für eine SRT infrage kamen. Nach 16 Wochen waren 82 Prozent der mit Mavacamten behandelten Patienten nicht länger für die chirurgische Intervention geeignet oder hatte sich dagegen entschieden. Nur zehn der mit Mavacamten behandelten Patienten (17,9 Prozent) im Vergleich zu 43 Patienten in der Placebogruppe (76,8 Prozent) erreichten den primären Endpunkt.
Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen sind Schwindel, Dyspnoe, systolische Dysfunktion und Synkopen.
Die bisherige Pharmakotherapie der hypertrophen obstruktiven Kardiomyopathie (HOCM) zielte auf Symptomlinderung ab. Nun gibt es dank Mavacamten erstmals einen zugelassenen Arzneistoff, der mit kausalem Ansatz zielgerichtet in das Krankheitsgeschehen eingreift. Allein dies reicht schon für die Einstufung als Sprunginnovation.
Hinzu kommt, dass Mavacamten ein First-in-Class-Wirkstoff ist. Aficamten könnte eines Tages der zweite Vertreter dieser Gruppe werden. Bis dato ist aber Mavacamten hierzulande der einzige kardiale Myosin-Inhibitor. Als solcher reduziert er die Ausbildung von Aktin-Myosin-Querbrücken am Herzen und damit die Obstruktion in der linken Herzkammer. So wird der Füllungsdruck während der Diastole gesteigert.
Auch die Ergebnisse der Zulassungsstudien untermauern den hohen Innovationsgrad von Mavacamten. Sie zeigen, dass der Wirkstoff bei HOCM die körperliche Leistungsfähigkeit steigern, die Obstruktion im linksventrikulären Ausflusstrakt verringern und Symptome sowie Gesundheitsstatus der Betroffenen klinisch relevant verbessern kann. Besonders hervorzuheben ist, dass die Notwendigkeit für eine invasive Septumreduktionstherapie mit Mavacamten in der VALOR-HCM-Studie deutlich vermindert werden konnte.
Mit Spannung darf man auf die Resultate von Langzeitstudien warten. Hier stellt sich zum Beispiel die Frage, inwiefern mit einer Erhöhung der Lebenserwartung durch Mavacamten zu rechnen ist. Die Zukunft wird ferner zeigen, ob sich der Arzneistoff auch in anderen Indikationen bewährt. Getestet wird er klinisch zum Beispiel bei nicht obstruktiver Kardiomyopathie sowie bei bestimmten Formen der Herzinsuffizienz.
Last, but not least sei darauf hingewiesen, dass vor Therapiestart mit Mavacamten der CYP2C19-Genotyp des Patienten bestimmt werden muss, um die richtige Dosierung festsetzen zu können. Die Fachinformation schreibt vor, was gegebenenfalls bei gleichzeitiger Behandlung mit CYP2C19- oder CYP3A4-Inhibitoren oder -Induktoren zu tun ist. Dies ist sicher auch für Apotheker bei der Abgabe von Mavacamten gut zu wissen.
Sven Siebenand, Chefredakteur