Erste zugelassene Therapie im Handel |
| Kerstin A. Gräfe |
| 10.11.2025 07:00 Uhr |
Patienten, bei denen während der Behandlung Diarrhö auftritt, sollten überwacht und mit Antidiarrhoika behandelt werden. Überwacht und gegebenenfalls behandelt werden müssen Patienten auch hinsichtlich potenzieller dermatologischer Reaktionen wie Ausschlag oder Entzündungen der Haarfollikel. Vor Beginn der Therapie und regelmäßig währenddessen sollten Hautuntersuchungen erfolgen, da Einzelfälle von Basalzellkarzinom und Plattenepithelkarzinom berichtet wurden. Regelmäßig sollten auch Phosphat- und Kaliumspiegel sowie die Leberwerte kontrolliert werden.
Unter Nirogacestat kann es zu einer Funktionsstörung der Eierstöcke kommen. Diese betraf in Studien drei von vier Probandinnen im gebärfähigen Alter, war aber nach dem Absetzen des Medikaments bei allen Frauen reversibel. Anwenderinnen sollten auf eine veränderte Regelmäßigkeit des Menstruationszyklus und auftretende Symptome von Estrogenmangel wie Hitzeanfälle, nächtliche Schweißausbrüche und vaginale Trockenheit überwacht werden.
In puncto Wechselwirkungen ist die gleichzeitige Anwendung von starken und mittelstarken Inhibitoren von CYP3A4 zu vermeiden. Gleiches gilt für starke und mittelstarke Induktoren von CYP3A4, da dies zum Wirksamkeitsverlust von Nirogacestat führen kann. Auch die gleichzeitige Anwendung des neuen Wirkstoffs mit Protonenpumpenhemmern oder H2-Blockern wird nicht empfohlen.
Ogsiveo sollte nicht gleichzeitig mit CYP3A4-Substraten mit engem therapeutischem Fenster angewendet werden. In-vitro-Daten weisen darauf hin, dass Nirogacestat zudem ein Induktor von CYP2C8, CYP2C9, CYP2C19 und CYP2B6 sein kann. Bei gleichzeitiger Anwendung sollte die Wirksamkeit des betroffenen Arzneimittels überwacht und gegebenenfalls die Dosis angepasst werden.
Die Zulassung basiert auf der Phase-III-Studie DeFi, an der 142 erwachsene Patienten mit fortschreitenden Desmoidtumoren teilnahmen. Sie erhielten randomisiert entweder zweimal täglich 150 mg Nirogacestat oder Placebo. Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben.
Der γ-Sekretase-Hemmer reduzierte das Risiko für Progress oder Tod signifikant um 71 Prozent. Zudem führte die Behandlung mit Nirogacestat zu einer signifikanten Verbesserung der objektiven Ansprechrate (41 versus 8 Prozent). Komplettremissionen gab es bei 7 Prozent der Patienten unter Nirogacestat, aber keine unter Placebo. Nirogacestat erzielte darüber hinaus eine frühzeitige und anhaltende Verbesserung bei den Endpunkten, über die die Patienten selbst Auskunft gaben, einschließlich Schmerzen, Desmoidtumor-spezifischer Symptome, körperlicher Funktionsfähigkeit/Rollenfunktion und allgemeiner gesundheitsbezogener Lebensqualität.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren Durchfall, Hautausschlag, ovarielle Toxizität bei Frauen im gebärfähigen Alter, Übelkeit, Fatigue, Hypophosphatämie, Kopfschmerzen und Stomatitis.
Nirogacestat ist die erste in der EU zugelassene Therapie zur Behandlung von Desmoidtumoren. Allein das rechtfertigt die vorläufige Einstufung als Sprunginnovation. Zudem adressiert der neue Wirkstoff mit der γ-Sekretase eine biologisch gut begründete Zielstruktur und weist einen innovativen Wirkmechanismus auf.
Durch Hemmung der γ-Sekretase wird der Notch-Signalweg unterbrochen. In Tumoren mit einer Überaktivierung dieses Weges, etwa Desmoidtumoren, führt dies zu Wachstumshemmung.
Die Studiendaten belegen, dass Nirogacestat nicht nur das Tumorwachstum signifikant hemmt, sondern auch einen klinisch relevanten Nutzen für die Betroffenen bietet. So besserten sich unter Nirogacestat die Schmerzen deutlich, die viele Patienten als die stärkste Beeinträchtigung empfinden.
Bei der neuen Substanz gibt es jedoch einiges zu beachten. So bestehen laut der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) Unsicherheiten darüber, wie sich Nirogacestat aufgrund einer möglichen Schädigung der Eierstöcke und Hoden auf die Fertilität auswirkt. Nirogacestat kann das ungeborene Kind schädigen, wenn es während der Schwangerschaft eingenommen wird. Dieses Risiko wird jedoch durch strenge Maßnahmen minimiert, einschließlich der Anforderung einer hochwirksamen Empfängnisverhütung. Last, but not least gilt es zukünftig, auch offene Fragen zur Langzeitwirkung und -toxizität kritisch mitzuverfolgen.
Sven Siebenand, Chefredakteur