Erste Therapie bei Friedreich-Ataxie verfügbar |
Kerstin A. Gräfe |
03.04.2024 07:00 Uhr |
Die meisten Menschen mit der neurodegenerativen Erkrankung Friedreich-Ataxie sind 10 bis 15 Jahre nach Auftreten erster Symptome auf den Rollstuhl angewiesen. / Foto: Getty Images/vchal
Die Friedreich-Ataxie (FA) ist die häufigste Form der erblichen Ataxien. Erste Symptome treten typischerweise in der Pubertät auf, darunter Störungen der Koordination, des Gleichgewichts, der Reflexe, der Aussprache und beim Schlucken. Neben den massiven körperlichen Einschränkungen kommt es im Laufe der fortschreitenden Erkrankung zu Komorbiditäten wie Herzwandverdickung und Diabetes mellitus. Betroffene haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von 37 Jahren und sind circa 10 bis 15 Jahre nach Auftreten erster Symptome auf einen Rollstuhl angewiesen.
Mit Omaveloxolon (Skyclarys™ 50 mg Hartkapseln, Reata Ireland Limited) ist erstmals eine zugelassene Therapieoption für Erwachsene und Jugendliche ab 16 Jahren mit FA verfügbar. Der genaue Wirkmechanismus des Orphan Drugs ist unbekannt. Omaveloxolon aktiviert den Nrf2-Signalweg (Nuclear Factor Erythroid 2-related Factor 2). Ist die Aktivität dieses Transkriptionsfaktors erhöht, exprimieren Zellen vor allem zytoprotektive Proteine, die sie vor oxidativen und inflammatorischen Schäden schützen. Bei FA-Patienten ist die Nrf2-Aktivität beeinträchtigt.
Die empfohlene Dosis beträgt einmal täglich 150 mg, also drei Hartkapseln mit je 50 mg. Die Einnahme sollte auf nüchternen Magen mindestens eine Stunde vor oder zwei Stunden nach einer Mahlzeit erfolgen. Bei Patienten, die die Kapseln nicht im Ganzen schlucken können, können diese geöffnet und der Inhalt auf zwei Esslöffel Apfelmus gestreut werden.
Bei mäßiger Leberfunktionsstörung sollte die tägliche Dosis auf 100 mg reduziert werden. Treten bei dieser Dosierung Nebenwirkungen auf, ist eine Reduzierung auf 50 mg pro Tag zu erwägen. Bei schwerer Leberfunktionsstörung ist die Anwendung des neuen Arzneistoffs zu vermeiden.
Omaveloxolon wird vorwiegend über CYP3A4 verstoffwechselt. Die gleichzeitige Behandlung mit moderaten oder starken CYP3A4-Hemmern wird nicht empfohlen. Ist diese nicht vermeidbar, ist die Dosis von Omaveloxolon zu reduzieren. Detaillierte Angaben dazu finden sich in der Fachinformation. Ebenfalls nicht empfohlen wird die gleichzeitige Anwendung von starken oder moderaten CYP3A4-Induktoren, da diese die Wirkspiegel von Omaveloxolon deutlich herabsetzen können. Es sollten möglichst andere Arzneimittel in Erwägung gezogen werden.
In klinischen Studien kam es unter der Behandlung zu einem Anstieg unter anderem der Leberwerte (ALT, AST und Bilirubin), der Cholesterolwerte (LDL und HDL) sowie des Herzmarkers BNP. Leberfunktionstests sollten vor der Behandlung, in den ersten drei Monaten monatlich und danach in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden. Je nach Höhe des Anstiegs der jeweiligen Werte gibt die Fachinformation das weitere Vorgehen vor. Die Lipidwerte sollten vor Therapiebeginn überprüft und während der Behandlung in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden. Lipidwertanomalien sind gemäß den geltenden klinischen Leitlinien zu behandeln. Der BNP-Wert muss bei FA-Patienten mit Kardiomyopathie und Diabetes mellitus vor dem Therapiestart und in regelmäßigen Abständen während der Behandlung überwacht werden.
Skyclarys soll während Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht verhüten, nicht angewendet werden. Das Arzneimittel kann die Wirksamkeit von hormonellen Kontrazeptiva herabsetzen. Patientinnen, die auf diese Weise verhüten, ist zu raten, während der Skyclarys-Anwendung und für 28 Tage nach deren Absetzen eine alternative Verhütungsmethode zu nutzen.
Die Zulassung basiert auf der randomisierten doppelblinden Phase-II-Studie MOXIe. Eingeschlossen waren 103 FA-Patienten im Alter von 16 bis 40 Jahren und einem Ausgangswert zwischen 20 und 80 von maximal möglichen 99 Punkten auf der modifizierten Friedreich-Ataxie-Bewertungsskala (mFARS). Die Teilnehmenden erhielten randomisiert einmal täglich 150 mg Omaveloxolon oder Placebo.
Der primäre Endpunkt war die Differenz im mFARS-Wert zwischen Therapiestart und Therapiewoche 48 im Vergleich zu Placebo. Unter Omaveloxolon sank der mFARS-Wert um −1,55 (±0,69) Punkte, während er in der Kontrollgruppe um 0,85 (±0,64) Punkte zunahm. Der beobachtete Unterschied von −2,40 Punkten (±0,96) war statistisch signifikant.
Sehr häufige Nebenwirkungen sind erhöhte Konzentrationen von Leberenzymen, Kopfschmerzen, Gewichtsverlust, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Müdigkeit, Mund- und Rachenschmerzen, Rückenschmerzen, Muskelspasmen, Grippe und Appetitverlust.
Betroffene mit der schweren, genetisch bedingten neurodegenerativen Erkrankung Friedreich-Ataxie (FA) konnten bislang nur symptomorientiert behandelt werden, etwa mittels Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. Omaveloxolon ist die erste bei FA zugelassene medikamentöse Therapieoption und schon allein deshalb als Sprunginnovation einzustufen. Studienergebnisse zeigen, dass sich die Progression der FA mit Omaveloxolon verzögern lässt. Die Behandlung über drei Jahre mit dem neuen Wirkstoff reduzierte das Fortschreiten der Erkrankung laut einer Auswertung um 55 Prozent gegenüber dem natürlichen Verlauf. Das bedeutet für die Betroffenen einen immensen Nutzen.
Weitere Daten zeigen, dass es sinnvoll ist, möglichst frühzeitig mit der Therapie zu starten. Momentan ist Omaveloxolon ab 16 Jahren zugelassen. Da manche Betroffene schon früher erkranken, wäre die Erprobung des neuen Wirkstoffs in einem jüngeren Patientenkollektiv wünschenswert.
Auch das Wirkprinzip von Omaveloxolon ist interessant. Oxidativer Stress ist ein wichtiger Treiber der FA-Pathophysiologie. Hervorgerufen wird er durch einen Mangel des mitochondrialen Proteins Frataxin sowie eine Beeinträchtigung des Nrf2-Signalweges. Omaveloxolon bewirkt indirekt eine Aktivierung von Nrf2, indem es dessen negativen Regulator Keap1 bindet und hemmt. Dadurch wirkt die Substanz protektiv gegen den oxidativen Stress bei FA.
Sven Siebenand, Chefredakteur