Erste Leitlinie zu Schwangerschaftsabbrüchen erschienen |
Christina Hohmann-Jeddi |
27.01.2023 16:30 Uhr |
In jedem Jahr brechen etwa 100.000 Frauen in Deutschland ihre Schwangerschaft ab. / Foto: Adobe Stock/megaflopp
Ende Juni 2022 schaffte der Bundestag den § 219a des Strafgesetzbuchs ab, der das Werbeverbot zu Schwangerschaftsabbrüchen regelte. Durch ihn war es seinerzeit nicht möglich, dass Ärzte öffentlich Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen anbieten durften. Jetzt ist erstmals die Leitlinie »Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimenon« herausgekommen, in der die medizinischen Informationen und die Evidenz hierzu zusammengefasst wurden.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) erstellte die S2k-Leitlinie federführend im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Ziel seien eine bessere und einheitlichere Beratung, Durchführung und Nachsorge, heißt es in dem Dokument, das am 26. Januar in Berlin vorgestellt wurde. Bisher waren die Durchführung und Überwachung eines Schwangerschaftsabbruchs sowie die Methodenwahl nicht national in einer Leitlinie geregelt.
Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland ein häufiger Eingriff und gehört zur Gesundheitsvorsorge. Laut Leitlinie werden bundesweit etwa 100.000 Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr vorgenommen – mit leicht rückläufiger Tendenz. Dabei ist ein solcher Eingriff innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis in Deutschland rechtswidrig, aber straffrei. Straflos bleibt er, wenn die Schwangere sich mindestens drei Tage vor dem geplanten Abbruch in einer staatlich anerkannten Konfliktberatungsstelle beraten lässt und der Eingriff nicht von dem beratenden Arzt oder der beratenden Ärztin vorgenommen wird.
Eine etwas andere Situation liegt bei einer medizinischen oder kriminologischen Indikation für einen Abbruch vor: Dieser ist dann nicht rechtswidrig. Ein medizinischer Grund für einen Abbruch ist gemäß Leitlinie, wenn für die Schwangere »laut ärztlicher Erkenntnis Lebensgefahr oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustands besteht und die Gefahr nicht auf andere zumutbare Weise abgewendet werden kann«. In diesen Fällen gibt es keine zeitliche Befristung für einen Abbruch. Solche Indikationen liegen etwa 4 Prozent der Abbrüche zugrunde.
Zusätzlich zu dem vorgeschriebenen Beratungsgespräch sollte der Leitlinie zufolge bei einer Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch erwägt, eine Anamnese zu körperlichen Faktoren, früheren Schwangerschaften und Geburten sowie Vorerkrankungen erstellt werden. Der Arzt sollte zudem das Vorliegen der Schwangerschaft bestätigen und das korrekte Gestationsalter ermitteln und dokumentieren. Wenn die Schwangere sich entschieden hat, sollte der Eingriff so rasch wie möglich durchgeführt werden, da er zu einem frühen Zeitpunkt in der Schwangerschaft mit niedrigeren Komplikationsraten verbunden ist.
Ein Schwangerschaftsabbruch kann prinzipiell medikamentös oder operativ (durch Absaugen) erfolgen. In Deutschland wurden im Jahr 2021 die meisten Abbrüche mit der Absaugmethode durchgeführt (52 Prozent), 11 Prozent mit Ausschabung (Kürettage) und ein medikamentöser Abbruch mit Mifepriston (Mifegyne®) wurde in 32 Prozent der Fälle eingesetzt. »Welche Methode im Einzelfall am besten geeignet ist, sollte in einem ergebnisoffenen Gespräch gemeinsam mit der schwangeren Frau entschieden werden«, heißt es in der Leitlinie. Hierzu sagt Leitlinienkoordinator Professor Dr. Matthias David von der Charité Berlin: »In manchen anderen Ländern ist der medikamentöse Abbruch schon stärker verbreitet, da hinkt Deutschland etwas hinterher.«
In Deutschland erfolgt der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch in der Regel mit dem Progesteronrezeptor-Antagonisten Mifepriston. Er ist bis zum Ende der neunten Schwangerschaftswoche möglich. Der Wirkstoff hemmt die schwangerschaftserhaltende Wirkung des Hormons Progesteron, in der Folge kommt es zu einer Blutung und zur Abstoßung des Schwangerschaftsgewebes. Hierzu muss 36 bis 48 Stunden nach der Einnahme von Mifepriston ein Prostaglandin, zum Beispiel Misoprostol, eingenommen werden. Das Prostaglandin bewirkt Kontraktionen der Gebärmutter, verstärkt die Ausstoßung des Schwangerschaftsgewebes und senkt die Blutungsdauer. Während Mifepriston unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden sollte, kann das Prostaglandin auf Wunsch auch zu Hause eingenommen werden.
Für medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche wird der Progesteronrezeptor-Antagonist Mifepriston eingesetzt. / Foto: Adobe Stock/ivanko80
Laut Zulassung der Präparate ist eine Dosierung von 600 mg Mifepriston gefolgt von 400 µg Misoprostol vorgesehen. In der Leitlinie werden allerdings andere Dosen empfohlen, nämlich 200 mg Mifepriston und 800 µg Misoprostol buccal, sublingual oder vaginal im Abstand von 24 bis 48 Stunden. Die Begründung: Ein Abbruch mit 200 mg Mifepriston gefolgt von Misoprostol sei hocheffektiv, heißt es in der Leitlinie. Gegen die orale Gabe von Misoprostol spreche, dass sie weniger effektiv sei als die anderen Applikationswege und zu mehr gastrointestinalen Nebenwirkungen führe. Häufig träten bei diesem Wirkstoff Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö auf. Prophylaktisch könnten Antiemetika angeboten werden.
Üblicherweise kommt es innerhalb von drei Stunden nach der Prostaglandin-Einnahme zu einer Abbruchblutung. Diese Blutungen sind anfangs stärker als Regelblutungen, schwächen dann ab und dauern im Durchschnitt neun Tage an. Sie können mit deutlichen Schmerzen verbunden sein, weshalb den Frauen ein Schmerzmanagement angeboten werden sollte. Laut Leitlinie lindert Paracetamol allein oder in Kombination den Schmerz nicht effektiv genug, Ibuprofen dagegen schon. Nicht steroidale Antirheumatika interferierten nicht mit der Prostaglandinwirkung.
Da Mifepriston eine antiglucocorticoide Wirkung hat, sollte bei Frauen mit chronischer Nebennierenrinden-Insuffizienz oder unter Corticoidtherapie (etwa bei Asthma bronchiale) genau geprüft werden, ob ein medikamentöser Abbruch angewendet werden kann oder ob eventuell die Corticoiddosis angepasst werden sollte. Bei Frauen unter Antikoagulation, mit Blutgerinnungsstörungen oder deutlicher Anämie sollte beachtet werden, dass der Blutverlust beim medikamentösen Abbruch im Vergleich zu den operativen Verfahren erhöht ist. Bei ektopen Schwangerschaften, also wenn der Embryo sich nicht im Uterus eingenistet hat, ist die medikamentöse Methode nicht wirksam.
In Einzelfällen (0,5 bis 1 Prozent) beendet die medikamentöse Methode die Schwangerschaft nicht und 3 bis 5 Prozent der Behandelten haben einen unvollständigen Abort. Während ein inkompletter Abort durch Beschwerden wie Schmerzen und Blutungen auffällt, bleibt eine weiterbestehende Schwangerschaft häufig unbemerkt. Daher wird ein bis zwei Wochen nach dem Eingriff das Ergebnis mittels Ultraschall überprüft, alternativ können die Frauen auch selbst einen Schwangerschaftstest machen. Gegebenenfalls muss dann ein operativer Abbruch folgen.
Zur Absaugmethode heißt es in der Leitlinie: »Die Vakuumaspiration (elektrisch oder manuell) ist im ersten Trimenon die Methode der Wahl und eine sehr effektive und risikoarme Methode.« Der Einsatz einer Metallkürette (Ausschabung) wird nicht mehr empfohlen.
Bei der Absaugmethode wird der Gebärmutterhals vorsichtig aufgedehnt, um einen dünnen Schlauch in das Organ einzuführen und mit diesem das Schwangerschaftsgewebe abzusaugen. Der Blutverlust ist in der Regel gering. Der Eingriff erfolgt unter örtlicher Betäubung und zum Teil mit Sedierung, kann aber auch unter Vollnarkose durchgeführt werden.
Um das Aufdehnen des Gebärmutterhalses zu erleichtern, wird in der Leitlinie die präoperative Gabe von Misoprostol (400 µg) oder osmotischen Dilatatoren empfohlen. Dies lockert das Gewebe. Eine Antibiotikagabe (zum Beispiel Doxycyclin, Metronidazol und β-Lactam-Antibiotika) kann das Infektionsrisiko durch den Abbruch reduzieren. Auch bei dieser Methode ist eine Nachuntersuchung auf eine weiterbestehende Schwangerschaft und verbleibendes Schwangerschaftsgewebe nach ein bis zwei Wochen nötig.
Die Leitlinie betont, dass es sich bei fachgerecht durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen um sichere Eingriffe handelt, die nur in seltenen Fällen zu ernsten Komplikationen führen. Die operative und die medikamentöse Methode seien in etwa ebenbürtig. Bei der operativen Methode kann es zu einer Verletzung der Gebärmutter (1/1000 Frauen) oder des Zervix (1 bis 6/1000 Frauen) kommen. Komplikationen der Anästhesie können bei 2 von 1000 operativen Eingriffen auftreten. Starke Blutungen sind nach der medikamentösen Methode (10/1000 Frauen) häufiger als bei den operativen Eingriffen (2/1000 Frauen). Auch das Risiko, dass die Schwangerschaft durch den Eingriff nicht beendet wird, ist nach dem medikamentösen (10/1000 Frauen) Verfahren größer als beim operativen (2/1000 Frauen).
Infektionen im kleinen Becken treten nach medikamentösen Abbrüchen seltener auf als nach operativen Abbrüchen, weshalb bei Letzteren eine Antibiotikaprophylaxe angezeigt ist.
Zusätzlich zu der jetzt erschienenen Leitlinie seien noch Aktualisierungen und eine leichter verständliche Version für Patientinnen geplant, heißt es von der DGGG. International gibt es den Angaben zufolge evidenzbasierte Leitlinien für andere Gesundheitssysteme und andere gesetzliche Ausgangsbedingungen. 2020 war bereits ein Handbuch für die klinische Praxis zum sicheren Schwangerschaftsabbruch der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf Deutsch erschienen.