Erste Immuntherapie bei Gebärmutterkrebs |
Kerstin A. Gräfe |
25.06.2021 07:00 Uhr |
Gebärmutterkrebs ist der häufigste Tumor der weiblichen Geschlechtsorgane. / Foto: Adobe Stock/freshidea
Das Endometriumkarzinom entsteht aus den epithelialen Zellen des Endometriums, also der Schleimhaut, die den Uterus von innen auskleidet. Es ist die fünfhäufigste Krebserkrankung bei Frauen und der häufigste Tumor der weiblichen Geschlechtsorgane. Endometriumkarzinome sind genetisch instabil. Besonders häufig (etwa 30 Prozent der Fälle) kommt es zu einer Mismatch-Reparatur-Defizienz in Kombination mit einer Mikrosatelliteninstabilität.
Was versteht man darunter? In gesunden Zellen repariert der Prozess der Mismatch-Reparatur (MMR) Fehler, die während der DNA-Replikation auftreten. Unter normalen Umständen stellt die MMR damit die Integrität der DNA wieder her. Ist dieser Reparaturmechanismus defekt, spricht man von Mismatch-Reparatur-Defizienz (dMMR). Eine dMMR führt zu einer Anhäufung von Fehlern in der DNA und kann Krebs auslösen. Eine Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H) entsteht infolge einer dMMR und ist ein Hinweis darauf, dass die MMR nicht normal funktioniert.
Aufgrund der hohen genetischen Instabilität bei dMMR/MSI-H-Endometriumkarzinomen kommt es zu einer erhöhten Expression von Neoantigenen bei den Tumorzellen. In der Folge wandern vermehrt Lymphozyten in die Mikroumgebung des Tumorgewebes ein. Manche Tumorzellen exprimieren die Transmembranproteine PD-L1/L2 (Programmed Cell Death Ligand 1/2) und können so diese Immunantwort umgehen. Die Liganden binden dabei an die PD-1-Rezeptoren auf der Lymphozytenoberfläche und verhindern so deren zytotoxische Reaktion gegen die Tumorzellen.
Checkpoint-Inhibitoren wie Nivolumab, Pembrolizumab und Cemiplimab blockieren den PD-1/PD-L1-Signalweg und ermöglichen so, dass das Immunsystem gegen die Tumorzellen vorgehen kann. Dadurch verstärken sie die T-Zell-Antwort einschließlich der Anti-Tumor-Antwort.
Mit Dostarlimab (Jemperli® 500 mg Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, GSK), einem humanen monoklonalen Antikörper des Immunglobulin G4- (IgG4-)Isotyps, ist seit Juni ein weiterer PD-1-Inhibitor verfügbar. Jemperli ist zugelassen für erwachsene Patientinnen mit rezidivierendem oder fortgeschrittenem Endometriumkarzinom mit dMMR/hoher MSI-H, deren Erkrankung während oder nach einer platinbasierten Chemotherapie fortschreitet. Für die Betroffenen ist dies ein großer Fortschritt, da die Gesamtansprechrate in der Zweitlinientherapie einer Chemotherapie mit einem Einzelwirkstoff drastisch von circa 60 Prozent auf unter 20 Prozent sinkt.
Vor der Anwendung sollte der dMMR-/MSI-H-Tumorstatus bestimmt werden. Die empfohlene Dosis als Monotherapie beträgt 500 mg Dostarlimab alle drei Wochen für vier Zyklen gefolgt von 1000 mg alle sechs Wochen in allen nachfolgenden Zyklen. Gemäß diesem Schema soll die Behandlung bis zur Krankheitsprogression oder inakzeptabler Toxizität fortgesetzt werden. Die Applikation erfolgt mittels einer intravenösen Infusionspumpe über einen Zeitraum von 30 Minuten. Das Mittel darf nicht als schnelle intravenöse Infusion oder Bolusinjektion verabreicht werden.
Unter der Behandlung mit PD-1/PD-L1-Inhibitoren können immunvermittelte Nebenwirkungen auftreten, die schwerwiegend oder tödlich sein können. Dazu zählen unter anderem Pneumonitis, Colitis, Hepatitis, Nephritis, Arthralgie und Hautausschlag sowie immunvermittelte Endokrinopathien wie Hypothyreose, Hyperthyreose, Thyroiditis, Hypophysitis, Typ-1-Diabetes und Nebenniereninsuffizienz. Diese können so schwerwiegend sein, dass sie eine Unterbrechung oder ein Absetzen von Dostarlimab und eine Therapie mit Corticosteroiden oder einem anderen systemischen Immunsuppressivum erforderlich machen können. Des Weiteren können unter Dostarlimab schwerwiegende infusionsbedingte Reaktionen auftreten.
Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und für vier Monate nach der letzten Dosis eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. Während der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht verhüten, wird die Behandlung nicht empfohlen. Jemperli soll während der Stillzeit nicht angewendet werden und das Stillen soll für mindestens vier Monate nach der letzten Dosis vermieden werden.
Die Wirksamkeit und Sicherheit von Dostarlimab wurden in der nicht kontrollierten, offenen Phase-I/II-Studie GARNET mit mehreren Parallelkohorten untersucht. Für die Wirksamkeitspopulation wurden die Daten von 108 Patientinnen mit rezidivierendem oder fortgeschrittenem dMMR/MSI-H-Endometriumkarzinom aus der Kohorte A1 ausgewertet. Die Behandlung mit Dostarlimab führte zu einer objektiven Ansprechrate von 43,5 Prozent und einer Krankheitskontrollrate von 55,6 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, ein anhaltendes Ansprechen auf die Dostarlimab-Therapie aufrechtzuerhalten, lag nach einem Jahr noch bei mehr als 90 Prozent.
Die Sicherheit wurde bei insgesamt 515 Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren untersucht, einschließlich 129 Patientinnen mit dMMR/MSI-H-Endometriumkarzinom. Als häufigste Nebenwirkungen traten Anämie, Übelkeit, Diarrhö, Erbrechen, Arthralgie, Pruritus, Hautausschlag, Fieber und Hypothyreose auf. 3,3 Prozent der Patienten brachen die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen ab.
Der Wirkmechanismus von Dostarlimab ist nicht neu. Der Antikörper bindet wie Nivolumab, Pembrolizumab oder Cemiplimab an den Immun-Checkpoint-Rezeptor PD-1 auf aktivierten T-Zellen. Neu ist allerdings das Einsatzgebiet. Dostarlimab ist in Europa die erste Immuntherapie zur Behandlung des rezidivierenden/fortgeschrittenen dMMR/MSI-H-Endometriumkarzinoms. Damit und aufgrund der positiven Studienergebnisse ist die vorläufige Einstufung als Schrittinnovation gerechtfertigt.
Momentan gibt es für Patientinnen mit Endometriumkarzinom, das während oder nach einer platinbasierten Chemotherapie fortschreitet, nur begrenzte Behandlungsmöglichkeiten und die Prognose ist schlecht. Endometriumkarzinome haben unter allen bisher getesteten Tumoren die höchste dMMR und MSI-H-Rate. Diese Tumoren haben eine erhöhte Mutationsrate, weswegen sie für eine Therapie mit einem Checkpoint-Inhibitor geeignet sind. Man darf gespannt sein, wie es mit Dostarlimab weitergehen wird. Der Hersteller untersucht das Immuntherapeutikum auch beim Endometriumkarzinom in früheren Behandlungslinien und in Kombination mit anderen Therapeutika. Ferner wird Dostarlimab derzeit bei anderen soliden Tumoren untersucht.
Sven Siebenand, Chefredakteur