Erste Enzymersatztherapie verfügbar |
Sven Siebenand |
30.01.2024 07:00 Uhr |
Im Harnstoffzyklus spaltet das Enzym Arginase-1 Arginin in Ornithin und Harnstoff. Bei einem Arginase-1-Mangel resultiert daher ein hoher Arginin-Plasmaspiegel. / Foto: Adobe Stock/Zerbor
Der Arginase-1-Mangel ist charakterisiert durch erhöhte Argininspiegel in Blut und Urin, da die Betroffenen wegen des fehlenden Leberenzyms Arginase-1 Arginin nicht abbauen können und sich die Aminosäure infolgedessen im Körper ansammelt. Erhöhte Ammoniakspiegel im Blut sind bei dieser Erbkrankheit im Vergleich zu anderen Harnstoffzyklusstörungen deutlich seltener zu finden.
Erste Symptome der Erkrankung treten oft im Alter zwischen zwei und vier Jahren auf. Dazu zählen Erbrechen, eine verzögerte körperliche Entwicklung, Muskelsteifigkeit und Krampfanfälle. Neben einer strengen Eiweißrestriktion spielen in der Behandlung der Hyperargininämie auch Natriumbenzoat oder Natriumphenylbutyrat eine Rolle.
Mit Pegzilarginase (Loargys® 5 mg/ml Injektions-/Infusionslösung, Immedica Pharma) gibt es seit dem 15. Januar eine erste Enzymersatztherapie für die ultraseltene Erkrankung, die mit einer Prävalenz von 1:1.000.000 angegeben wird. Zugelassen ist das Orphan Drug zur Behandlung von Arginase-1-Mangel ab einem Alter von zwei Jahren.
Pegzilarginase ist ein Kobalt-substituiertes, rekombinantes humanes Arginase-1-Enzym, das zusätzlich pegyliert ist. Letzteres reduziert die Clearance, was zu einer verlängerten Halbwertszeit führt. Pegzilarginase soll die mangelhafte menschliche Arginase-1-Enzymaktivität bei den Patienten ausgleichen. Es wurde nachgewiesen, dass der neue Wirkstoff Arginin im Plasma rasch und nachhaltig reduziert und es in Harnstoff und Ornithin umwandelt.
Loargys sollte durch intravenöse Infusion oder subkutane Injektion gegeben werden, wobei die Dosis gleich ist. Die empfohlene Anfangsdosis sind 0,1 mg/kg Körpergewicht (KG) pro Woche. Die Dosis kann in Schritten von 0,05 mg/kg KG erhöht oder verringert werden, um die therapeutischen Ziele zu erreichen. Dosen über 0,2 mg/kg KG/Woche wurden in klinischen Studien nicht untersucht.
Sicherheit und Wirksamkeit von Pegzilarginase wurden in einer placebokontrollierten Studie bei 32 pädiatrischen und erwachsenen Teilnehmern im Alter von 2 bis 29 Jahren mit Arginase-1-Mangel untersucht. Die Patienten erhielten einmal wöchentlich entweder Pegzilarginase oder Placebo intravenös verabreicht. Alle Teilnehmer wurden während der gesamten Studiendauer mit allen zuvor verschriebenen Diätschemata und Ammoniakfängern weiterbehandelt. Als primärer Endpunkt wurde in Woche 24 der Rückgang der Arginin-Plasmakonzentration gegenüber dem Ausgangswert bei Teilnehmern, die mit Pegzilarginase behandelt wurden, im Vergleich zu Placebo bewertet.
Das Ergebnis: Die Behandlung mit Pegzilarginase führte zu einer statistisch signifikanten Verringerung des Plasma-Arginins im Vergleich zu Placebo (Reduktion um knapp 77 Prozent unter Pegzilarginase versus 0 Prozent Reduktion unter Placebo). Bei 90,5 Prozent der mit Pegzilarginase behandelten Patienten wurden Arginin-Plasmakonzentrationen unterhalb des in den Behandlungsleitlinien empfohlenen Ziels und innerhalb des Normbereichs erreicht. Dies gelang in der Placebogruppe bei keinem Patienten.
Die Analyse der sekundären Mobilitätsendpunkte aus der Studie deutet darauf hin, dass das neue Medikament auch die motorischen Funktionen im Vergleich zu Placebo verbessern kann; der Unterschied war allerdings statistisch nicht signifikant. Daten, die während der offenen Anschlussphase erhoben wurden, deuten jedoch darauf hin, dass sich die motorischen Funktionen bei langfristiger Einnahme des Arzneimittels stabilisieren oder allmählich verbessern können.
Loargys ist derzeit »unter außergewöhnlichen Umständen« zugelassen. Der Hersteller muss daher der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) weitere Daten vorlegen, etwa die Endergebnisse von zwei Studien zur langfristigen Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit von Pegzilarginase bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern mit Hyperargininämie.
Stichwort Sicherheit: Sehr häufige kommt es zur Überempfindlichkeit, häufig wurden Reaktionen an der Injektionsstelle in Studien beobachtet. Die Behandlung von Überempfindlichkeitsreaktionen kann die vorübergehende Unterbrechung der Infusion, die Senkung der Infusionsrate und/oder die Behandlung mit Antihistaminika und/oder Corticosteroiden umfassen. Eine Prämedikation mit einem Antihistaminikum und/oder Corticosteroid sollte bei Patienten in Betracht gezogen werden, die zuvor im Zusammenhang mit der Pegzilarginase-Behandlung eine Überempfindlichkeitsreaktion entwickelt haben.
Tierexperimentelle Studien haben Reproduktionstoxizität gezeigt. Die Anwendung von Pegzilarginase während der Schwangerschaft und bei gebärfähigen Frauen, die keine Empfängnisverhütung anwenden, wird daher nicht empfohlen. In der Stillzeit muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob das Stillen oder die Behandlung mit Pegzilarginase zu unterbrechen sind.
Loargys ist im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C zu lagern.
Pegzilarginase ist die erste Enzymersatztherapie bei Arginase-1-Mangel und die erste verfügbare krankheitsmodifizierende Behandlung für die Betroffenen. Die vorläufige Bewertung als Sprunginnovation ist damit vertretbar. Aber es gilt, weitere Langzeitergebnisse abzuwarten. Diese werden kommen, da die EMA das Medikament zunächst nur »unter außergewöhnlichen Zuständen« zugelassen hat. Die zulassungsrelevante Studie hat zwar eine deutliche Senkung des Plasma-Arginins zeigen können, die Auswertung der sekundären Mobilitätsendpunkte war aber etwas enttäuschend. Hier zeigte sich nur ein Trend der Verbesserung, kein signifikanter Unterschied zu Placebo. Spannend wird es daher sein, auf Langzeitergebnisse zu schauen. Vorläufige Langzeitdaten stimmen zuversichtlich, dass sich der Nutzen einer Therapie mit Pegzilarginase auch hinsichtlich der motorischen Fähigkeiten der Patienten noch unter Beweis stellen lassen wird.
Sven Siebenand, Chefredaktion