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Seltene Bluterkrankungen

Erste CRISPR/Cas9-Gentherapie auf dem Markt

Seit Januar ist erstmals eine CRISPR/Cas9-basierte Gentherapie im Handel: Exagamglogen Autotemcel (Casgevy®) wird bei Patienten mit den Erbkrankheiten β-Thalassämie oder Sichelzellerkrankung eingesetzt.
Kerstin A. Gräfe
06.02.2025  07:00 Uhr

β-Thalassämie und Sichelzellenkrankheit sind zwei seltene Erbkrankheiten. Sie werden durch Mutationen verursacht, die die Produktion oder Funktion des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin beeinträchtigen. Bei β-Thalassämie fehlen genetisch bedingt β-Ketten. Dadurch kommt es zu einer Anämie, was bei schwer betroffenen Patienten häufige Bluttransfusionen erforderlich macht. Im Fall der Sichelzellanämie nehmen die roten Blutkörperchen statt ihrer üblichen Scheibenform eine halbmondförmige, sichelartige Gestalt an, was Blutgefäße blockieren und schmerzhafte Episoden im Brustbereich, Bauch und anderen Körperregionen auslösen kann (vasookklusive Krisen).

Für beide Krankheiten ist die bislang einzige kurative Therapie eine Stammzelltransplantation von einem verwandten Spender. Für die Mehrzahl der Patienten stehen allerdings keine passenden Spender zur Verfügung. Zudem sind Komplikationen wie Transplantat-Abstoßung und Spender-gegen-Empfänger-Erkrankung, die schwerwiegend und teils lebensbedrohlich verlaufen können, ein erhebliches Risiko. Mit Casgevy ist nun ein individuell für jeden Patienten hergestelltes Gentherapeutikum verfügbar, bei dem die eigenen Blutstammzellen des Patienten genetisch modifiziert werden.

Genschere reaktiviert fetales Hämoglobin

Dafür werden den Patienten Stamm- und Vorläuferzellen entnommen und ex vivo mit der Genschere CRISPR/Cas9 behandelt. Dabei wird in den Zellen ein bestimmtes regulatorisches Enhancer-Segment des BCL11A-Gens durch einen Doppelstrangbruch editiert. Wie bei anderen Stammzelltransplantationen bekommen die Patienten dann eine Hochdosis-Chemotherapie. Durch diese Konditionierung wird das Knochenmark von den bisherigen Stammzellen bereinigt. Anschließend werden den Patienten die modifizierten Zellen reinfundiert.

BCL11A ist ein Transkriptionsfaktor, der die Expression von γ-Globin hemmt. γ-Globin ist ein Bestandteil von fetalem Hämoglobin (HbF), das natürlicherweise nach der Geburt nicht mehr gebildet und durch adultes Hämoglobin (HbA) ersetzt wird. Durch die Editierung von BCL11A wird HbF reaktiviert und es kommt zu einer erhöhten Produktion von HbF.

Exagamglogen Autotemcel (Casgevy® 4 bis 13 × 106 Zellen/ml Infusionsdispersion, Vertex Pharmaceutical) ist zugelassen zur Behandlung von transfusionsabhängiger β-Thalassämie bei Patienten ab zwölf Jahren, die für eine Transplantation von hämatopoetischen Stammzellen (HSZ) geeignet sind und für die kein humaner Leukozyten-Antigen (HLA)-kompatibler, verwandter HSZ-Spender zur Verfügung steht. Zudem darf das Präparat zur Behandlung von schwerer Sichelzellkrankheit bei Patienten ab zwölf Jahren mit rezidivierenden vasookklusiven Krisen, die für eine Transplantation von HSZ geeignet sind und für die kein humaner HLA-kompatibler, verwandter HSZ-Spender zur Verfügung steht, zum Einsatz kommen.

Einmalige Dosis

Die Behandlung besteht aus einer einmaligen Dosis, die eine Infusionsdispersion von lebensfähigen CD34+-Zellen enthält, die in einer oder mehreren Durchstechflaschen verpackt sind. Die empfohlene Mindestdosis beträgt 3 × 106 CD34+-Zellen/kg Körpergewicht. Die Infusion muss schnellstmöglich verabreicht werden und muss innerhalb von 20 Minuten nach dem Auftauen abgeschlossen sein.

Vor der Infusion wird eine Prämedikation mit Paracetamol und Diphenhydramin oder gleichwertigen Arzneimitteln empfohlen, um das Risiko einer Infusionsreaktion zu verringern. Überempfindlichkeitsreaktionen sind möglich, weshalb die Patienten während und nach der Infusion engmaschig überwacht werden sollten. Kontrollen von Blutdruck, Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung sowie eine Überwachung auf Symptome sind vor Beginn der Infusion, alle 30 Minuten ab der Infusion der ersten Durchstechflasche und bis zwei Stunden nach der Infusion der letzten Durchstechflasche erforderlich.

Zudem besteht ein Risiko für die Übertragung von Infektionserregern. Die Patienten sind daher nach der Behandlung auf Anzeichen und Symptome von Infektionen zu überwachen und bei Bedarf entsprechend zu behandeln.

Eine mögliche Komplikation ist ein Versagen des Neutrophilen-Engraftments. Das macht sich dadurch bemerkbar, dass nach der Infusion von Casgevy keine Regeneration der Neutrophilen erreicht wird und die Anwendung von unveränderten CD34+-Reservezellen erforderlich ist. Die absolute Neutrophilenzahl der Patienten muss somit überwacht werden. Zudem wurde im Vergleich zur allogenen HSZ-Transplantation eine längere Regenerationsphase der Thrombozyten beobachtet, wodurch ein erhöhtes Blutungsrisiko besteht. Auch dieses muss daher überwacht werden. Häufige Messungen der Thrombozytenzahl sind so lange erforderlich, bis eine Erholung der Thrombozyten erreicht ist.

Nach der Anwendung nie wieder Blut spenden

Patienten, die mit Casgevy behandelt wurden, dürfen kein Blut, keine Organe, kein Gewebe und keine Zellen für eine Transplantation spenden.

Bei Impfungen mit viralen Lebendimpfstoffen ist Vorsicht geboten. Sie werden für mindestens sechs Wochen vor Beginn der Konditionierung, während der Behandlung und bis zur hämatologischen Wiederherstellung nach der Behandlung nicht empfohlen.

Casgevy darf wegen des mit der Konditionierung verbundenen Risikos während der Schwangerschaft nicht angewendet werden. Während dieser Phase muss auch abgestillt werden. Eine Schwangerschaft nach der Infusion von Casgevy muss mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Gleiches gilt für das Stillen. Dabei ist der Nutzen des Stillens für das Kind gegen die möglichen Nebenwirkungen durch Casgevy oder durch die Grunderkrankung der Mutter abzuwägen.

Die Patienten sind 15 Jahre nach der Behandlung mindestens einmal jährlich (einschließlich eines vollständigen Blutbildes) zu überwachen. Des Weiteren sollten sie an einer Langzeitnachbeobachtung zur Sicherheit und Wirksamkeit des Gentherapeutikums teilnehmen.

Überzeugende Daten

Die bedingte Zulassung basiert auf den zwei noch laufenden, offenen einarmigen Studien CLIMB-111 (β-Thalassämie) und CLIMB-121 (Sichelzellanämie). Von den 59 Patienten der Studie CLIMB-111, die die Mobilisierung begannen, erhielten 54 das Gentherapeutikum. Der primäre Endpunkt war der Anteil der Patienten, die über zwölf Monate transfusionsunabhängig blieben. Diesen erreichten 42 Patienten (92,9 Prozent). Sie brauchten über einen Zeitraum von durchschnittlich 22,3 Monaten keine Bluttransfusion und zeigten normal gewichtete durchschnittliche Gesamt-Hämoglobinwerte-Werte (13,2 g/dl).

In der Studie CLIMB-121 wurden bislang Daten von 29 Patienten mit Sichelzellanämie ausgewertet, denen Casgevy verabreicht wurde. Die Wirksamkeit wurde anhand von Patienten mit einer Nachbeobachtungsdauer von mindestens 16 Monaten beurteilt. Der primäre Endpunkt war der Anteil von Patienten, die in den ersten 24 Monaten nach der Infusion von Casgevy mindestens zwölf Monate in Folge keine schweren vasookklusiven Krisen erlitten. Diesen erreichten 93,5 Prozent der Patienten.

Sehr häufig beobachtete Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Übelkeit sowie Muskel- und Knochenschmerzen.

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