Erstattungspreise künftig vertraulich |
Ev Tebroke |
27.03.2024 17:04 Uhr |
Wieviel zahlen die Kassen für ein neues Arzneimittel? Die Erstattungspreise sollen künftig nicht mehr öffentlich sein. / Foto: imago images/Shotshop
Mit dem heute per Kabinettsbeschluss auf den Weg gebrachten Medizinforschungsgesetz (MFG) soll Deutschland als Pharmastandort wieder wettbewerbsfähiger werden. So sollen Genehmigungsverfahren für klinische Prüfungen sowie Zulassungsverfahren von Arzneimitteln und Medizinprodukten vereinfacht und damit beschleunigt werden. Beispielsweise ist geplant, die Zusammenarbeit der Arzneimittelzulassungsbehörden zu optimieren; dezentrale klinische Prüfungen außerhalb der Prüfzentren zu ermöglichen und die Kennzeichnung von Prüf- oder Hilfspräparate zu vereinfachen.
Auch die Auslegungspraxis der Länder hinsichtlich der Herstellungserlaubnis und Prüfung bestimmter Arzneimittel soll durch Empfehlungen des Bundes harmonisiert werden. Ziel des Gesetzes ist es, die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten in Deutschland zu verbessern.
Im Zuge dessen sollen pharmazeutische Unternehmer künftig die Möglichkeit erhalten, bei neuen Arzneimitteln vertrauliche Erstattungsbeträge zu vereinbaren. Während die Pharmaindustrie sich darüber grundsätzlich freut, weil dies ihre Verhandlungsposition auf dem europäischen Markt stärkt, sehen die Kassen »Kostenrisiken« und kritisieren das Verfahren als »Bürokratiemonster«. Auch der Pharmagroßhandel befürchtet Kostenexplosionen aufgrund des neuen Preisverfahrens.
Das MFG sieht vor, dass die künftig zwischen dem jeweiligen Pharmaunternehmen und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgehandelten Erstattungspreise von neuen Wirkstoffen nicht mehr öffentlich zu machen sind. Stattdessen rechnet die Industrie zunächst den gelisteten Wunschpreis ab – die ersten sechs Monate darf der Hersteller den Preis frei wählen, erst danach greifen die Erstattungsbeträge. Und erst im Anschluss müssen die Unternehmen die Differenz zum tatsächlichen Abgabepreis inklusive Handelsabschläge und Umsatzsteuer ausgleichen. Laut Gesetz innerhalb einer Frist von zehn Tagen.
Die GKV gehe damit finanziell in Vorleistung und trage zudem die das Inkasso-Risiko, so die Kritik etwa seitens des Verbands der Ersatzkassen (vdek). Der Aufbau eines komplizierten Rückerstattungsverfahrens beim GKV-Spitzenverband konterkariere zudem den von der Politik propagierten Bürokratieabbau. Auch beim Sachleistungsprinzip würden die Versicherten durch vertrauliche Erstattungsbeträge zusätzlich belastet, wenn durch den höheren Wunschpreis des Pharmaherstellers höhere Zuzahlungen anfallen, so vdek-Vorstandschefin Ulrike Elsner.
»Die Neuregelung ist ein Bürokratiemonster und birgt neue Kostenrisiken für die beitragszahlenden Versicherten und Arbeitgeber«, so Elsner. Darüber hinaus verhinderten die geplanten vertraulichen Erstattungsbeträge die europaweite Transparenz für Kostenträger. Dies führe faktisch zu einer Entsolidarisierung der sozialen Sicherungssysteme in Europa.
Diesem Vorwurf begegnete Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) heute in Berlin anlässlich des MFG-Kabinettsbeschlusses. Die EU-Länder würden bislang ebenfalls ihre Preise geheim halten, so Lauterbach. Auch die von den Kassen angeführte Kritik, dass mit den geplanten Neuregelungen zudem wichtige Preissteuerungsmechanismen an Wirkung verlören, verfängt beim Minister nicht. Die Kassen treibt derweil die Sorge um, dass Arztpraxen keine Auswahl zugunsten wirtschaftlicher Arzneimittel treffen, wenn sie keine Kenntnis mehr über die tatsächlichen Preise haben. Darauf angesprochen sagte Lauterbach gegenüber der PZ, er vertraue den Ärzten, dass sie verantwortlich entscheiden. Auf die Anmerkung, dass laut Kassen für diese Arzneimittel zudem die sogenannte Importförderklausel entfalle, die Apotheken dazu verpflichtet, preisgünstige Import-Arzneimittel abzugeben, ging er nicht ein.
Kritik an dem großen Mehraufwand bei vertraulichen Erstattungspreisen und den damit verbundenen Mehrkosten kommt auch vom pharmazeutischen Großhandel. Dessen Bundesverband Phagro bemängelt: »Diese Pläne würden eine zusätzliche Belastung des pharmazeutischen Großhandels beim Einkauf dieser Arzneimittel bedeuten. Denn höhere Arzneimittelpreise führen zu höheren Fremdkapitalkosten für den Einkauf und die Beschaffung von Arzneimitteln.«
Besonders deutlich würde die Mehrbelastung im Bereich der hochpreisigen Arzneimittel. Die gesetzliche Großhandelsvergütung wird laut Phagro ab einem Abgabepreis (ApU) von 1200 Euro gekappt und steigt von da an nicht weiter. »Übertragen auf alle bisherigen Arzneimittel mit Erstattungsbetrag und einem ApU größer 1200 Euro hätten die Phagro-Mitgliedsunternehmen im Jahr 2023 aufgrund der geplanten Neuregelung für den Einkauf zusätzliche 3,3 Milliarden Euro aufwenden müssen«, rechnet der Verband vor. Er fordert deshalb einen Ausgleich für die dem Großhandel zusätzlich entstehenden Mehrkosten. An den MFG-Plänen zeige sich einmal mehr, »wie anpassungsbedürftig die Arzneimittelpreisverordnung ist«.
Ob die neue Verhandlungsoption eines vertraulichen Erstattungspreises greift und dies für deutsche Unternehmen mit Blick auf den EU-Referenzmarkt eine flexiblere Preisverhandlungsbasis schafft, soll spätestens zwei Jahre nach Gesetzbeschluss eine Evaluation beleuchten.