Engpasslage schlimmer als letztes Jahr |
Cornelia Dölger |
15.02.2024 15:30 Uhr |
Bei Erwachsenen sei die Arzneimittelversorgung extrem angespannt, etwa bei stärkeren Schmerzmitteln, Onkologika, HIV-Medikamenten und Psychopharmaka, sagte ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening (hier ein Archivbild) in einem FAZ-Interview. / Foto: ABDA/Erik Hinz
Um den Lieferengpässen bei wichtigen Arzneimitteln zu begegnen, hatte das Bundesgesundheitsministerium das Lieferengpassgesetz (ALBVVG) auf den Weg gebracht, das größtenteils seit dem vergangenen Sommer in Kraft ist. Seitdem haben Apotheken mehr Beinfreiheit beim Arzneimittelaustausch. Im Zuge des ALBVVG wurde zudem die Möglichkeit geschaffen, Kinderarzneimittel auf der beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführten »Dringlichkeitsliste« leichter auszutauschen. Zusätzlich wurden die Festbeträge etlicher Kinderarzneimittel aufgehoben, allerdings erst ab zum 1. Februar 2024.
Eine der Fragen im FAZ-Interview drehte sich also darum, ob diese Maßnahmen bislang geholfen haben. Nein, die Versorgungslage habe sich in diesem Jahr nicht entspannt, so Overwiening. Im Gegenteil: Insgesamt gebe es sogar mehr Lieferengpässe als im vergangenen Jahr, sagte sie. In diesem Jahr seien allerdings Kinderarzneimittel weniger betroffen, weshalb das Thema weniger emotionalisiert sei.
»Bei Fiebersäften haben wir eine recht gute Situation, bei antibiotischen Säften für Minderjährige geht es auf und ab«, so Overwiening. Bei Erwachsenen sei die Lage allerdings extrem angespannt, etwa bei stärkeren Schmerzmitteln, Onkologika, HIV-Medikamenten und Psychopharmaka.
Eine ähnliche Tendenz hatte sich bei der jüngsten Apokix-Umfrage gezeigt. Demnach geht die Mehrheit der Befragten (93 Prozent) geht nicht davon aus, dass sich die Situation bei den Lieferengpässen in nächster Zeit entspannen wird. Das ALBVVG hat aus Sicht der Befragten bisher keine Abhilfe geschaffen. So sehen 78 Prozent der befragten Apothekeninhaberinnen und Inhaber durch das Gesetz weder kurz- noch langfristig eine Verbesserung der Lage.
Wie es den Apotheken wirtschaftlich geht, nimmt einen breiten Raum in dem FAZ-Interview ein. Overwiening räumte hierbei zunächst mit der sich hartnäckig haltenden Annahme auf, »dass sich Apotheker in der öffentlichen Apotheke eine goldene Nase verdienen«. Diese Wahrnehmung sei grundfalsch. Vielmehr habe sich das Fixum seit 20 Jahren nicht erhöht, während die Kosten stetig stiegen. Die Pläne zur Apothekenreform führten nicht wie von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dargestellt zu höherem Honorar, sondern seien ein »Nullsummenspiel«, eine »Mogelpackung« und eine »Scheinlösung«.
Das Betriebsergebnis sinke seit Jahren, erklärte Overwiening. Die veröffentlichten Daten, nach denen eine Durchschnittsapotheke rund 3,2 Millionen Euro Umsatz erwirtschafte und der Vorsteuergewinn 163.000 Euro betrage, seien trügerisch. »Nicht einmal zwei Drittel der selbständigen Kollegen erzielen ein Betriebsergebnis von mehr als 75.000 Euro im Jahr.« 11 Prozent der Apotheken seien defizitär, weitere 15 Prozent hätten ein Ergebnis unter 50.000 Euro. Über die teils prekäre wirtschaftliche Lage der Apotheken hatte die Treuhand Hannover unlängst informiert.
Overwiening verlangte eine finanzielle Soforthilfe von einer Milliarde Euro für die Apotheken noch in diesem Jahr – eine Forderung, die wegen des aktuellen Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) zu Skonti beim Rx-Einkauf noch an Schärfe gewinnt. In diesem Zusammenhang steht auch die Forderung der ABDA nach einer sofortigen Senkung des Kassenabschlags und einer Anpassung der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV), so dass Skonti im Handel wieder erlaubt werden.
Befragt nach dem anhaltenden Apothekensterben, führte Overwiening in dem Interview weiter aus, dass alle 16 Stunden eine Offizin schließen müsse. »Vergangenes Jahr haben 559 Standorte zugemacht, wir haben jetzt noch etwa 17.500 in Deutschland.« Die Apothekendichte sei mit 21 Apotheken je 100.000 Einwohner um ein Drittel geringer als im EU-Durchschnitt. Kritisch werde es, wenn die Patienten nicht mehr wohnortnah versorgt werden könnten – schon jetzt gebe es etliche Postleitzahlen ohne eine einzige Apotheke.