EMA empfiehlt Lecanemab nun doch |
Annette Rößler |
14.11.2024 19:06 Uhr |
Auffälligkeiten im MRT (ARIA) sind eine mögliche Nebenwirkung des Alzheimer-Antikörpers Lecanemab. Für bestimmte Patienten, die ein besonders hohes Risiko für ARIA haben, soll der Wirkstoff daher in der EU nicht zugelassen werden. / © Getty Images/Andrew Brookes
Lecanemab ist ein therapeutischer Antikörper, der sich gegen β-Amyloid-Plaques im Gehirn richtet und diese auflöst. Dadurch kann bei Patienten mit milden kognitiven Einschränkungen (MCI), einem frühen Stadium der Alzheimer-Erkrankung, oder Alzheimer-Demenz im Frühstadium der kognitive Abbau verlangsamt werden. In den USA ist Lecanemab bereits zugelassen, die EMA hatte sich jedoch im Juli gegen eine Zulassung in der EU ausgesprochen. Als Grund nannte der zuständige Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) eine negative Nutzen-Risiko-Bilanz des neuen Medikaments.
Hintergrund ist, dass Patienten unter der Therapie mit Lecanemab Amyloid-bedingte Bildgebungsanomalien (ARIA) entwickeln können. Dies sind Auffälligkeiten im Gehirn, die im MRT sichtbar werden. Man unterscheidet ARIA-E (ödematöse ARIA) und ARIA-H (Blutungs-ARIA). Die Nebenwirkung kommt vermutlich dadurch zustande, dass das Hirngewebe infolge der Entfernung der β-Amyloid-Plaques instabil wird, sodass sich Flüssigkeitsansammlungen (Ödeme) bilden oder kleine Blutungen entstehen können.
Die EMA hatte sich seinerzeit besorgt gezeigt, weil in der Zulassungsstudie das ARIA-Risiko unter Lecanemab insbesondere bei Patienten mit zwei Kopien des Alzheimer-Risikogens ApoE4 erhöht war. Wegen ihres besonders hohen Risikos für eine Alzheimer-Erkrankung wären genau dies aber vermutlich die Patienten gewesen, die am häufigsten für eine Therapie mit Lecanemab infrage gekommen wären. In ihrer heute bekannt geworden neuen Entscheidung trägt die Behörde dem Rechnung: Sie empfiehlt die Zulassung des Medikaments ausschließlich für Patienten mit nur einer oder keiner Kopie von ApoE4. Bei diesen Personen darf Lecanemab also künftig, die Zulassung durch die EU-Kommission vorausgesetzt, bei MCI oder früher Alzheimer-Demenz eingesetzt werden, um das Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung zu verlangsamen.
Grundlage der neuen EMA-Empfehlung war eine Subgruppenanalyse der Zulassungsstudie, in der die Daten von 1521 Patienten mit nur einer oder keiner ApoE4-Kopie und 274 doppelten Merkmalsträgern ausgewertet wurden. In der erstgenannten Gruppe kam es unter der Therapie mit Lecanemab bei 8,9 Prozent der Patienten zu ARIA-E und bei 12,9 Prozent zu ARIA-H. In der Gesamtpopulation (Patienten mit keiner, nur einer oder zwei ApoE4-Kopien) lagen die entsprechenden Anteile mit 12,6 Prozent ARIA-E und 16,9 Prozent ARIA-H höher. In der Placebogruppe (ausschließlich Patienten mit nur einer oder keiner ApoE4-Kopie) waren sie mit 1,3 Prozent ARIA-E und 6,8 Prozent ARIA-H niedriger.
Wie häufig ARIA bei doppelten Merkmalsträgern in der Subgruppenanalyse auftraten, gibt die EMA nicht an. In der Publikation der Ergebnisse der Zulassungsstudie, die 2022 im »New England Journal of Medicine« erschien (DOI: 10.1056/NEJMoa2212948), finden sich hierzu folgende Angaben: ARIA-E traten unter Lecanemab bei 32,6 Prozent der homozygoten Träger des ApoE4-Gens auf und unter Placebo bei 3,8 Prozent, ARIA-H bei 39,0 Prozent (Lecanemab) versus 21,1 Prozent (Placebo).
Die Wirksamkeit von Lecanemab war in der eingeschränkten Patientenpopulation, für die nun die Zulassung empfohlen wurde, vergleichbar mit der in der Gesamtpopulation. Erfasst wurde die Veränderung kognitiver und funktionaler Symptome nach 18 Monaten anhand der CDR-SB-Skala. Diese reicht von 0 bis 18, wobei höhere Werte eine größere Beeinträchtigung bedeuten. Nach 18 Monaten war in der Lecanemab-Gruppe ein weniger starker Anstieg der Werte als in der Placebogruppe zu verzeichnen gewesen, nämlich um 1,22 statt 1,75 Punkte. Dies gilt als Beleg für einen etwas weniger schnellen Abbau der kognitiven und funktionellen Leistung der behandelten Patienten.
Damit der Nutzen des neuen Medikaments seine Risiken überwiegt, müssen bestimmte Auflagen der EMA erfüllt werden. So wird Leqembi ausschließlich über ein kontrolliertes Zugangsprogramm verfügbar gemacht, um sicherzustellen, dass nur solche Patienten es erhalten, die der Zulassung entsprechen. Zudem müssen die Patienten mehrfach per MRT untersucht werden, mindestens vor Beginn der Therapie, vor der 5., 7. und 14. Dosis sowie jederzeit bei Bedarf. Sie müssen über die möglichen Symptome von ARIA wie Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Sehstörungen, Schwindel, Übelkeit und Gangstörungen aufgeklärt werden
Die Hersteller Biogen und Eisai müssen Schulungsmaterial für Angehörige von Gesundheitsberufen sowie eine Patientenkarte entwickeln, um die Awareness für ARIA zu stärken und ein frühes Erkennen dieser Nebenwirkung sicherzustellen. Auch werden sie damit beauflagt, im Rahmen einer Nachzulassungsstudie auftretende ARIA-E und ARIA-H genauer zu charakterisieren und die Effektivität der Risikominimierungsmaßnahmen zu beurteilen. Es soll eine EU-weite Datenbank eingerichtet werden, in der mit Lecanemab behandelte Patienten erfasst werden, um diese Nebenwirkungen und ihre Schwere – auch langfristig – sowie das Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung zu erfassen.
Last, but not least wird es in den einzelnen Mitgliedsländern nach der Zulassung um den Preis des neuen Medikaments und seine Erstattung durch die jeweiligen Kostenträger gehen. Auch von diesem Prozess ist zu erwarten, dass die Hürden für den Zugang zu dem neuen Antikörper am Ende hoch sein werden. Somit wird sich infolge der geänderten Empfehlung der EMA wohl am Ende nur für wenige Patienten eine neue Therapieoption ergeben.