Eine sichere (Daten-)Bank für Kinder |
Daniela Hüttemann |
02.09.2021 11:00 Uhr |
Schon die Dosierung per Messlöffel ist fehleranfällig. Noch schwieriger wird es bei nicht für Kinder zugelassenen Medikamenten in ungeeigneten Applikationsformen. / Foto: Getty Images/Imgorthand
Schmerzmittel, Antibiotika und Hustensäfte gibt es speziell für Kinder — doch kommt ein Baby zu früh auf die Welt oder leidet ein Kind unter einer chronischen Erkrankung erfolgt der Einsatz der benötigten Arzneimittel oft außerhalb der Zulassung. Schätzungen des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) zufolge werden 90 Prozent der Medikamente auf Kinderintensivstationen off Label eingesetzt. Und auch im ambulanten Bereich sind es bis zu 30 Prozent.
Bei der Gabe von Medikamenten an Kinder, die nicht für sie konzipiert sind, stellen sich vor allem zwei große Probleme: die Dosierung und die Darreichungsform. Ist die Tablette teilbar, darf die Kapsel geöffnet werden? Welche Dosis bekommt ein Frühchen mit eingeschränkter Nierenfunktion? »Medikationsfehler treten bei Kindern im Vergleich zu Erwachsenen bis zu dreimal häufiger auf«, erklärte Professorin Dr. Antje Neubert, Apothekerin und Leiterin der Arbeitsgruppe Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) an der Kinder- und Jugendklinik des Universitätsklinikums Erlangen. Zudem gehen Schätzungen davon aus, dass 3 bis 5 Prozent aller Krankenhauseinweisungen bei Minderjährigen aufgrund einer unerwünschten Arzneimittelwirkung erfolgen.
Das will Kidsafe verbessern – ein Projekt, um das »bestehende Versorgungsdefizit bei der Arzneimitteltherapie von Kindern und Jugendlichen durch die Einführung einer rationalen, evidenzbasierten Pharmakotherapie zu vermindern«. Es wird seit 2017 vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert. Hier bekommen die teilnehmenden niedergelassenen Ärzte evidenzbasierte Informationen und Handlungsempfehlungen für die Arzneimitteltherapie von Kindern und Jugendlichen. »Zum einen durch Qualitätszirkel und Fortbildungen, zum anderen durch unsere Datenbank Kinderformularium.de«, erklärte Neubert, die das Projekt pharmazeutisch verantwortet.
Seit Januar 2021 ist das Nachschlagewerk für alle Heilberufler mit DocCheck-Account freigeschaltet und steht kostenlos zur Verfügung. »Die Informationen, die wir hier bereitstellen, sind für alle Apothekerinnen und Apotheker, ob im Krankenhaus oder in der Offizin, von höchstem Interesse«, ist Neubert überzeugt. Ihr Team aus Apothekern, Doktoranden und wissenschaftlichen Hilfskräften durchforstet Literatur und andere Datenbanken, um evidenzbasierte Angaben für Arzneistoffe ohne explizite Zulassung für Kinder zusammenzustellen. Dabei arbeiten die Pharmazeuten auch eng mit dem niederländischen Kinderformularium zusammen, das dort bereits seit einigen Jahren als anerkannter Standard viel genutzt wird.
»Wir haben mittlerweile Profile für mehr als 400 Wirkstoffe erstellt«, so Neubert. Darunter finden sich Angaben zu Zulassungsstatus (zum Teil für bestimmte Altersgruppen), Nebenwirkungen, Kontraindikationen und Warnhinweisen, Interaktionen, Angaben zur Teilbarkeit oder ob ein Präparat problematische Hilfsstoffe enthält. Kernstück aber sind die evidenzbasierten Dosierempfehlungen, sofern vorhanden auch bei Nierenfunktionsstörungen. »Bei der Auswahl haben wir uns an den am häufigsten zulasten der Krankenkassen verordneten Wirkstoffen orientiert«, erläutert Neubert.
Bei Kidsafe untersuchen die Erlanger Forscher, ob diese Hilfestellung die Krankenhauseinweisungen durch Arzneimittelfehlgebrauch bei Kindern senkt. »Dazu haben wir zwölf Cluster jeweils rund um eine Kinderklinik eingeteilt«, erklärt die Leiterin des Pädiatrischen Studienzentrums Erlangen. »Die umliegenden Arztpraxen wurden nach und nach geschult und erhielten Zugang zu unserer Datenbank. Wir haben die stationären Aufnahmen vor und nach diesen Maßnahmen erfasst – mehr als 40.000 Fälle. Dabei haben wir geprüft, ob sie tatsächlich arzneimittelbedingt waren und sie schließlich verglichen.«
Die Datenaufnahme ist mittlerweile abgeschlossen. »Die endgültige Auswertung wird wohl erst Anfang kommenden Jahres vorliegen, aber wir sehen einen positiven Trend«, verrät Neubert gegenüber der PZ. Das Kinderformularium und die Qualitätszirkel seien jeweils gut angenommen worden. »Unser Wunsch ist es, dass Kidsafe in die Regelversorgung eingeht, wir eine dauerhafte Förderung für den Ausbau des Kinderformulariums bekommen und Apotheker und Ärzte die Datenbank rege nutzen.«