Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht |
Über die Wirkung des ALBVVG diskutierten (von links): BMG-Abteilungsleiter Thomas Müller, Elisabeth Stampa (CEO bei Medichem S.A.), Josip Mestrovic (Vorstand Pro Generika), Susanne Dolfen (AOK Sachsen-Anhalt) und Thomas Fischbach (Präsident BVKj). / Foto: Svea Pietschmann
Das Problem der Lieferengpässe bei Generika sei »klar in der Politik angekommen«, und das Geld für 2024 sei sicher, betonte Thomas Müller, Leiter der Abteilung Arzneimittel, Medizinprodukte und Biotechnologie im Bundesgesundheitsministerium (BMG). Das Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) sei »der erste Schritt«, und auch mit dem Pflegestudiumstärkungsgesetz ergreife der Gesetzgeber Maßnahmen gegen die Engpässe. Zudem sei am 30. November der Pharmagipfel im Bundeskanzleramt geplant. »Strukturelle Probleme lassen sich aber nicht über Nacht lösen«, machte Müller deutlich. Es müsse eine europäische Lösung geben. Die Generika-Herstellung in Deutschland sei machbar, sie müsse sich aber rechnen. »Wir versuchen, die Kosten bei Patentarzneimitteln zu dämpfen, um das Geld in Generika stecken zu können«, erläuterte er. Er zeigte sich zuversichtlich, dass bei generischen Arzneimitteln weitere Schritte möglich seien. »Allerdings werden wir Generika nicht in einen Hochpreismarkt umfunktionieren können«, so der BMG-Abteilungsleiter mit Verweis auf die aktuelle Haushaltssperre. Mit dem ALBVVG habe der Gesetzgeber zunächst Kinderarzneimittel von Fest- und Rabattverträgen ausgeschlossen. Bei Antibiotika müsse mindestens die Hälfte der Rabattverträge mit Herstellern in Europa geschlossen werden. Das soll ab 2024 auch für Krebsmedikamente gelten, kündigte Müller an.
Unzufrieden zeigte sich hingegen Josip Mestrovic, Geschäftsführer des Generikaherstellers Zentiva und Vorstand von Pro Generika. Ursprünglich sollte mit dem ALBVVG das Problem gelöst werden. »Aber wir haben uns im Kleinklein verloren«, kritisierte er. Insbesondere die im Gesetz verankerte Pflicht zur sechsmonatigen Lagerhaltung sei ein falsches Signal und erfordere große Investitionen. Zudem gälten für die meisten Arzneimittel weiterhin Rabattverträge. »Wir brauchen eine Gesamtstrategie gegen Engpässe, um bezahlbare Generika herstellen zu können«, forderte Mestrovic. Nötig seien zudem geeignete Rahmenbedingungen für Generikahersteller, damit es sich für sie lohne, in Deutschland zu investieren.
Auch Elisabeth Stampa, Geschäftsführerin des spanischen Wirkstoffherstellers Medichem S.A. sowie Präsidentin von Medicines for Europe, machte deutlich, wie hoch der Kostendruck sei, der auf Generika laste. »Wenn ein Arzneimittel in Deutschland zehn Jahre lang 3 Euro kostet, ist unsere Marge längst von der Inflation aufgefressen. Der Preis, den die Hersteller für den Wirkstoff bezahlen können, liegt unter unseren Produktionskosten«, sagte Stampa.
Frustriert angesichts des drohenden Arzneimittelmangels im kommenden Winter zeigte sich Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKj). Trotz der gesetzgeberischen Bemühungen gebe es gravierende Engpässe bei Kinderarzneimitteln. »Ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels«, sagte er. Das Problem gebe es schon lange. Es sei daher nicht richtig, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach alle Schelte abbekomme, die Ursache sei »systemimmanent«. Wenn Säuglinge mit Pneumonie im Krankenhaus landeten, weil ihre Eltern in der Apotheke keine Arzneimittel bekämen, stimme etwas nicht. Es müsse möglich sein, Kinder und Jugendliche mit gängigen Erkrankungen behandeln zu können. Die Politik habe für die Daseinsvorsorge von Kindern Sorge zu tragen. »Da darf es keine Ausflüchte geben. Kinder haben einen Anspruch auf die bestmögliche Versorgung. Und ich erwarte, dass der Staat das löst«, forderte Fischbach.
»Ob das ALBVVG dazu führt, dass wir in Deutschland unser Lieferketten-Problem lösen, das wissen wir nicht«, sagte Susanne Dolfen, Fachbereichsleiterin Arzneimittel bei der AOK Sachsen-Anhalt und fügte hinzu: »Leichter ist es durch das Gesetz nicht geworden.« Das Thema sei seit 2017 in der Diskussion, der Gesetzgeber habe über die Jahre an kleineren Stellen interveniert. »Das war aber offensichtlich nicht zielführend, sonst wären wir nicht da, wo wir heute sind.« Dolfen stellte klar, dass nicht die Versicherten den Preis für eine bessere Verfügbarkeit von Arzneimitteln zahlen sollten. Derzeit seien in Deutschland etwa 500 Arzneimittel von Engpässen betroffen – im Vergleich zu anderen Ländern wie den Niederlanden seien das relativ wenige, meinte Dolfen.