Eine Mischung »aus Reha-Kur und Fitnessprogramm« |
Cornelia Dölger |
09.04.2025 16:22 Uhr |
Die Regierungsbildung schreitet voran. Heute wurde der schwarz-rote Koalitionsvertrag vorgestellt. / © IMAGO/dts Nachrichtenagentur
Die Parteispitzen Friedrich Merz, Lars Klingbeil, Markus Söder und Saskia Esken stellten das Papier am Nachmittag im Paul-Löbe-Haus vor. »Der Koalitionsvertrag ist das Ergebnis langer Verhandlungen«, sagt Merz zu Beginn der Pressekonferenz. »Deutschland bekommt eine stabile und starke Regierung.« Man wisse, was auf dem Spiel steht, es gehe um die Zukunft des Landes und Europas. Der Vertrag komme dem nach. Die politische Mitte sei in der Lage, Probleme des Landes zu lösen.
Merz skizzierte die Grundzüge des Vertrags. Geplant seien neue Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen. Nicht nur Kapital-, sondern auch Personengesellschaften sollten von den Maßnahmen profitieren. Die neue Koalition plane neben Steuersenkungen niedrigere Energiekosten und eine stärkere preisliche Wettbewerbsfähigkeit. Die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen soll sinken. Merz kündigte die Abschaffung der Bonpflicht an.
Im parallel öffentlich gewordenen Koalitionsvertrag nehmen sich die Regierungspartner vor, die Apotheken zu stärken. Wie im Ergebnispapier der AG Gesundheit schon vorgesehen, soll das Fixum steigen, zudem sollen Skonti freigegeben werden.
SPD-Chef Klingbeil betonte, angesichts der »Neuvermessung der Welt« habe sich durch die Verhandlungen die Frage gezogen, welche Rolle Deutschland und die EU künftig spielen sollten. Er betonte: »Wir haben das Potenzial, gestärkt aus dieser Zeit hervorzugehen.« Dafür müsse man sich von Gewissheiten verabschieden. Es sei entscheidend, zu priorisieren und an den richtigen Stellschrauben zu drehen.
Er sei froh, dass die Koalitionäre es hinbekommen hätten, »trotz unterschiedlicher Standpunkte Brücken zu bauen«. Jetzt liege ein roter Faden vor. Das historische Finanzpaket von 500 Milliarden für die Infrastruktur sei da – aber Geld allein reiche nicht, es müsse im Sinn der Bürger eingesetzt werden, das Gemeinwohl müsse im Vordergrund stehen. Es gelte, den Unternehmen zu vertrauen und nicht alles bis ins Kleinste zu regeln.
Die Regierung wolle das Leben der Bürger vereinfachen. Leistung müsse sich lohnen. Und: »Deutschland ist und bleibt ein Einwanderungsland.« Migration werde geordnet und gesteuert, aber das Grundrecht auf Asyl bleibe unangetastet. Klingbeil zeigte sich zuversichtlich, dass die Mitglieder dem Vertrag zustimmen.
Klingbeil betonte auf Nachfrage, Einsparungen seien allen Seiten ein wichtiges Anliegen gewesen. Der Vertrag sehe verschiedene Hebel vor, allerdings stünden Pläne auch unter Finanzierungsvorbehalt, so Klingbeil, der als künftiger Finanzminister gilt.
»Es ist vollbracht«, so Söder. Es sei »ein dickes Brett« gewesen, das es zu bohren galt. Am Ende habe es sich aber gelohnt, der Vertrag sei eine Antwort auf die Probleme der Zeit. Jeder Satz sei »Politik pur«, um jedes Komma sei gerungen worden. Söder bezeichnete den Vertrag als eine Mischung aus »Reha-Kur und Fitnessprogramm für Deutschland«, etwa durch mehr Freiheit, Leistung und Kraft, mehr äußere Sicherheit, mehr Recht und Ordnung sowie Bekämpfung der irregulären Migration. In der Migrationspolitik hätten Union und SPD sich auf eine »Rückführungsoffensive« geeinigt. Die »Turbo-Einbürgerung« werde abgeschafft.
Die Fesseln der Wirtschaft würden abgestreift, Wirtschaft wie Bürger gleichermaßen entlastet, »Steuern runter, nicht rauf.« Die kommende Koalition schütze und fördere, statt zu belehren und zu erziehen, betonte der CSU-Chef.
Söder verteidigte das CSU-Projekt Mütterrente, bedankte sich bei CDU und SPD, hier keine Abstriche zu machen, dies sei ein Zeichen von Respekt.
In der Migration halte der Vertrag einen »Richtungswechsel« bereit. Nun seien die vielen Jahre der Unsicherheit vorbei. Dass Klingbeil und Merz sich seit Kurzem duzen, bemerkte Söder am Rande, behielt sich aber ein Sie vorerst vor und sinnierte: »Liebe vergeht, Hektar besteht«. Er gehe davon aus, dass Merz ein starker Bundeskanzler werde. Es gelte, nicht von Anfang an wieder alles schlechtzureden. Ein »Gott schütze unser Vaterland« konnte er sich am Ende nicht verkneifen.
SPD-Chefin Saskia Esken betonte, man habe in Teilen hart verhandelt. Dies solle den Beschäftigten zugutekommen, ihre Zukunft sichern. Die Leistungsträger im Land sollten den Respekt erfahren, den sie verdient hätten. Die Errungenschaften einer vielfältigen und respektvollen Gesellschaft würden nicht infrage gestellt. Die wichtige Zivilgesellschaft und der Zusammenhalt würden gefördert, »das muss uns gemeinsam am Herzen liegen und das sind auch Ziele dieser Koalition«, so Esken.
Die SPD will ihre Mitglieder über den Vertrag abstimmen lassen, das soll ab morgen starten und bis zum Ende der Osterferien dauern. Der Fahrplan sei vorläufig, er hänge von der Mitgliederbefragung der SPD ab. Die CDU werde am 28. April einen kleinen Parteitag abhalten, so Merz. In der darauf folgenden Woche solle die Kanzlerwahl stattfinden.
Über die mögliche Neubesetzung der Ministerposten wurde bei der Pressekonferenz nichts bekannt. Seit heute kursiert eine Liste, die sich mit einer früheren von Ende März deckt. Tino Sorge, bis dato gesundheitspolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, soll demnach Karl Lauterbach als Bundesgesundheitsminister im Amt nachfolgen.
Dass diese Woche entscheidend für die Regierungsbildung werden würde, hatte sich abgezeichnet. Auf den letzten Metern hatten dicke Brocken wie insbesondere der Streit um Steuersenkungen die Verhandlungen ins Stocken gebracht. Auch das von US-Präsident Donald Trump verursachte Zoll-Chaos verzögerte den Zeitplan.
Seit gestern Abend aber befand man sich auf der Zielgeraden, wie es hieß. Seit heute Morgen wurde in der CDU-Zentrale weiterverhandelt. Über das Papier war im Vorhinein nichts an die Öffentlichkeit gedrungen. Offenbar hatte man aus den vorab geleakten Ergebnispapieren der Arbeitsgruppen gelernt; laut »Bild« gab es vom Vertragsentwurf keine Uploads, sondern nur Papierausdrucke mit Wasserzeichen. Das »Masterdokument« verwahrten demnach nur ausgewählte »Note-Taker«.
In der Union hatte es zuvor Frust über den Verlauf der Verhandlungen gegeben. Die Basis forderte eine Mitgliederbeteiligung , was Unions-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei aber umgehend zurückwies. Der Chef der Jungen Union, Johannes Winkel, hatte den angekündigten Politikwechsel zur Bedingung für eine Zustimmung zu dem Regelwerk gemacht. »Die CDU darf keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, ohne dass ein Politikwechsel kommt«, sagte Winkel der »Süddeutschen Zeitung«.