Eine Million für Teilnahme an klinischer Studie |
Theo Dingermann |
27.12.2019 12:00 Uhr |
Lässt sich das Altern aufhalten oder gar rückgängig machen? Eine US-amerikanische Firma verspricht dies - und verlangt viel Geld dafür. / Foto: Getty Images/Westend61
Zwei prinzipielle Ansätze werden in der Longevity-Szene verfolgt: Der eine zielt darauf ab, typische Alterskrankheiten möglichst zu vermeiden. Das ist eine nachvollziehbare Strategie, denn nur wenige Menschen sterben heutzutage an Altersschwäche. Die meisten sterben an Alterskrankheiten.
Der zweite Ansatz zielt darauf ab, bekannte Alterungsprozesse zu stoppen. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Eingriff in die fatale Verkürzung unserer Chromosomen, die bei jeder Zellteilung unvermeidbar ist. Die als Telomere bezeichneten Enden der Chromosomen sind Strukturen, die eine Mindestlänge haben müssen, damit ein Chromosom komplett kopiert werden kann. Da jedoch mit jeder Kopierrunde die Telomere kürzer werden, ist die Anzahl der möglichen Teilungen einer Zelle endlich. Für diese wichtige Erkenntnis erhielten Elizabeth Blackburn, Carol Greider und Jack Szostak 2009 den Nobelpreis für Medizin.
Tatsächlich könnte sich hier ein Interventionsansatz auftun mit dem Ziel, das Leben zu verlängern. Denn sollte es gelingen, die mit der Zeit immer kürzer gewordenen Telomere wieder zu verlängern, wäre zumindest ein Problem des zellulären Alterns gelöst.
Die Grundlagenforschung für dieses Geschäftsmodell ist längst gemacht. Das Enzym, die sogenannte Telemerase, und das dazugehörige Gen (TERT) wurden isoliert und charakterisiert. Man konnte zeigen , dass in Tumorzellen, die sich ja unendlich teilen, die Telomerase hoch aktiv ist. Und man hat gezeigt, dass bei Mäusen, denen man das TERT-Gen durch einen Gentransfer eingeschleust hatte, Anzeichen einer Verjüngung festzustellen waren. Auch in menschlichen Zellen ließen sich die Telomere verlängern und in der Folge die Teilungsfähigkeit erhöhen.
Das sollte reichen, meinen die Verantwortlichen der Firma Libella Gene Therapeutics, die in Manhattan, Kansas, ansässig ist. Dieses Unternehmen hat nach eigenen Angaben eine Gentherapie entwickelt, die die Alterung um bis zu 20 Jahre rückgängig machen soll. Das ist doch schon mal eine Ansage! Und wer als Erster mit dabei sein möchte, der wird entsprechend zur Kasse gebeten. Eine Million Dollar verlangt die Firma – nicht etwa für eine geprüfte und zugelassene Therapie, sondern für die Teilnahme an einer klinischen Studie.
Das muss man schon zweimal lesen, um es glauben zu können. Noch mehr reibt man sich die Augen, wenn man liest, dass die Studie nicht etwa in den USA, dem Firmensitz, sondern in der IPS Arcasalud SAS-Klinik in Zipaquirá, Kolumbien, 40 Kilometer nördlich von Bogotá läuft. Recherchen zu Erfahrungen dieser Klinik mit der Durchführung klinischer Studien bleiben erfolglos. Die »Flucht« in die Diaspora für klinische Studien hatte Libella Gene Therapeutics angetreten, da ihr die FDA keine Zulassung für eine derartige Studie erteilt hatte. Nachdem man zunächst acht verschiedene Länder für die klinische Studie in Betracht gezogen habe, habe man sich schließlich für Kolumbien entschieden, weil dies »der Weg des geringsten Widerstands« gewesen sei.
Drei Studien hat Libella Gene Therapeutics bei clinicaltrials.gov registrieren lassen. Es handelt sich um Gentherapiestudien, bei denen das humane Gen für die Telomerase (hTERT) mithilfe eines Adeno-assoziierten viralen Vektors (AAV) in die Zellen der Probanden eingeschleust werden soll. In die drei miteinander verknüpften Studien sollen jeweils fünf Patienten, die älter als 45 Jahre sind, eingeschlossen werden. Indikationen sind kritische Extremitäten-Ischämie (CLI), Morbus Alzheimer und Altern. Angeblich haben sich bisher zwei Probanden für die Indikation »Altern« gemeldet.
Das Risiko ist durchaus erheblich. Denn es besteht die keineswegs unrealistische Gefahr, durch die Behandlung präkanzeröse Zelle zu aktivieren. Das sind Zellen, die bereits Mutationen in sich tragen, die prinzipiell ein ungehemmtes Wachstum fördern. Was ihnen allerdings noch fehlt, ist eine aktive Telomerase, die sie nun im Rahmen der Gentherapie erhalten. Eine grausame Vorstellung! Problematisch ist auch die unklare Qualität der modifizierten Viren. Fragen hierzu werden von Libella Gene Therapeutics nicht beantwortet.
Was allerdings Bioethiker so richtig auf den Plan ruft, ist das Finanzierungskonzept der klinischen Studie. Dies wird als »Pay-to-Play«-Konzept bezeichnet, bei dem die freiwilligen Studienteilnehmer 1 Million Dollar zahlen müssen, um an der Studie teilnehmen zu können. Wer hier einwilligt, muss nicht nur reich, sondern auch verzweifelt sein. Denn ihm wird nicht nur eine gewaltige Rechnung geschrieben. Auch das erhebliche Risiko trägt der Studienteilnehmer.
Bevor allerdings dem ersten Probanden eine erste Injektion verabreicht wird, bleibt noch eine weitere Frage offen: Wird die Studie überhaupt stattfinden? Das Unternehmen machte bereits früher ähnlich spektakuläre Ankündigungen, ohne dass etwas passierte. So sollte Ende 2017 die erste Telomerase-Therapie-Studie am Menschen »in den nächsten Wochen« beginnen. 2016 hatte Libellas Wissenschaftsvorstand Bill Andrews (damals in Partnerschaft mit dem Biotech-Startup BioViva) bekanntgegeben, dass der Bau einer Altersumkehrklinik im Inselstaat Fidschi »vor Jahresende« vollendet würde. Keine der beiden Ankündigungen trat ein.