»Eine Großhandels-Abfrage muss ausreichen« |
Bei der gestrigen Anhörung im Bundestag diskutierten die Abgeordneten über den Entwurf des Lieferengpass-Gesetzes. Das Interesse an der Sicht der Apothekerschaft war groß. / Foto: PZ/Screenshot
Der Gesetzentwurf des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) stand am gestrigen Montagnachmittag auf der Tagesordnung des Gesundheitsausschusses des Bundestages. Während der öffentlichen Anhörung nutzten Bundestagsabgeordnete die Gelegenheit, die Expertise von Verbänden und Akteuren aus dem Gesundheitswesen einzuholen.
Eingeladen waren unter anderem Vertreter von Pharmaverbänden, Krankenkassen, Großhandel sowie Einzelsachverständige. Für die Apothekerschaft ging ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening auf zahlreiche Fragen der Politikerinnen und Politiker ein. Daniela Hänel, Vorsitzende der Freien Apothekerschaft, nahm auf Einladung der AfD als Einzelsachverständige an der Anhörung teil.
Bereits im Vorfeld der Anhörung hatten die Verbände Stellung zum Gesetzentwurf bezogen. Die ABDA forderte eine bessere Vergütung des Engpass-Managements sowie flexible Abgabemöglichkeiten für Apotheken, die über die im Entwurf vorgesehenen Regelungen hinausgingen. Es sei weder den Versicherten noch den Apotheken zuzumuten, auf nochmalige Rückfragen beim Arzt oder noch ausstehende Lieferungen des pharmazeutischen Großhandels zu warten, um die Versorgung durchzuführen, wenn die Wirtschaftlichkeit der Versorgung auch ohne diese Hindernisse gewährleistet sei.
Pharmaverbände verlangten ebenfalls Nachbesserungen am Gesetzentwurf. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) erklärte, es sei schwer erklärbar, dass Antibiotika und Kinderarzneimittel bei der Preisgestaltung in den Fokus rückten, andere Patienten und Therapien von den Plänen jedoch nicht erfasst seien. »Engpassbedroht« seien etwa auch Blutplasmapräparate. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) kritisierte, strukturelle Defizite im System wie ein »ruinöser Preissenkungsmechanismus« würden nicht angegangen.
Der GKV-Spitzenverband und der AOK-Bundesverband warnten hingegen, dass die geplanten Neuregelungen erhebliche Mehrkosten nach sich zögen, ohne dass damit eine bessere Liefersicherheit garantiert sei. Der BKK-Dachverband pochte zudem darauf, die Möglichkeit der Nullretaxierung beizubehalten. Anderenfalls sei mit einem erheblichen finanziellen Schaden für die Gesetzliche Krankenversicherung zu rechnen.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Heidenblut wollte während der Anhörung von ABDA-Präsidentin Overwiening zunächst wissen, was ein Verzicht auf die Präqualifizierung bewirken würde.
Die Präqualifizierung bedeute für Apotheker eine Doppelbelastung und einen hohen bürokratischen Aufwand, den andere Anbieter von Hilfsmitteln in dieser Form nicht hätten, machte Overwiening deutlich. Die Qualität werde bereits durch die Apothekenbetriebsordnung sichergestellt. »Ein Wegfall der Präqualifizierung wäre ein starker Beitrag zur Bürokratieentlastung«, betonte Overwiening.
Dagegen forderte Patrick Grunau von »Wir versorgen Deutschland« – einem Verband, der Leistungserbringer von Hilfsmitteln vertritt –, das System der Präqualifzierung für alle zu reformieren. Eine Ausnahme für einzelne Leistungserbringer sei unverhältnismäßig, so Grunau.
Fürs Engpass-Management in den Apotheken sieht der Entwurf des ALBVVG derzeit eine Vergütung von 50 Cent vor. Ob dies kostendeckend sei, fragte Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Union, ABDA-Präsidentin Overwiening. Diese erläuterte, dass die Bewältigung von Lieferengpässen die Apothekenteams viel Zeit koste, im Schnitt seien es mindestens sechs Stunden pro Woche. Für die Bewältigung einer Nichtverfügbarkeit halte die ABDA daher 21 Euro für angemessen.
Nachfragen kamen auch vom AfD-Bundestagsabgeordneten Jörg Schneider. Auf seine Frage hin schilderte Daniela Hänel, was eine Apothekerin oder ein Apotheker tun muss, wenn ein Arzneimittel nicht verfügbar ist.
Die Vorsitzende der Freien Apothekerschaft nahm auf Einladung der AfD als Einzelsachverständige an der Anhörung teil. Bei der ABDA-Präsidentin erkundigte sich Schneider, ob Apotheker das Management der Lieferengpässe in der normalen Arbeitszeit bewältigen könnten. Dies sei nicht zu schaffen, entgegnete Overwiening. »Durch das Engpass-Management entstehen Apotheken zusätzliche Aufwände«, betonte sie.
Kordula Schulz-Asche, Gesundheitsexpertin der Grünen, befragte Overwiening zum Thema Nullretax. Auf die Frage, wann sie dies für angemessen halte, antwortete die ABDA-Präsidentin: »Die Nullretaxation ist nie angemessen.« Ausnahmen gebe es in Fällen, in denen beispielsweise ein völlig falsches Medikament abgegeben wurde. Apotheker hätten mit dieser Regelung allerdings in erster Linie bei Formfehlern zu kämpfen. »Die komplette Verweigerung der Bezahlung ist nie angebracht, wenn der Patient versorgt wurde«, stellte Overwiening klar.
Kathrin Vogler von den Linken spielte darauf an, dass die Apotheker am morgen geplanten Protesttag »auf die Barrikaden« gingen. Ihre Frage, ob es da einen Zusammenhang mit dem geplanten Gesetz gebe, bejahte Overwiening. Die Apotheken seien massiv unter Druck, etwa alle 17 Stunden schließe eine Apotheke. »Wir hatten gehofft, dass mit dem ALBVVG ein flexibler Austausch von Arzneimitteln komplett gerettet wird.«
Dies sei aber nicht der Fall, stattdessen sei eine bürokratische Verschlechterung geplant, bedauerte Overwiening. Zudem stehe eine angemessene Vergütung der Apotheken nicht im Fokus der Politik. Unter diesem Druck plane die Apothekerschaft am morgigen Mittwoch bundesweit Demos und Proteste.
Zum Abschluss der Anhörung wandte sich Dirk Heidenblut erneut an Overwiening. Worin genau bestehe im Gesetz die Verschlechterung der Austauschregeln im Vergleich zu den Regelungen während der Corona-Pandemie, erkundigte sich der SPD-Abgeordnete. »Wir brauchen die Möglichkeit, auch die Darreichungsform auszutauschen«, erläuterte Overwiening. Maximal eine Abfrage beim Großhandel müsse ausreichen. »Das wäre eine essenzielle Ergänzung«, betonte die ABDA-Präsidentin.
Die Gesetzespläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sehen zur Vermeidung von Engpässen bei Medikamenten unter anderem neue Preisregeln vor, die Lieferungen nach Deutschland für Hersteller wirtschaftlich attraktiver machen sollen.
Europäische Produzenten sollen generell stärker zum Zuge kommen. Geplant sind auch Regeln für mehrmonatige Bevorratungen als Sicherheitspuffer. Die Apotheken sollen auch künftig die Möglichkeit haben, nicht verfügbare Arzneimittel flexibel auszutauschen.
Allerdings gilt ein Medikament erst dann als nicht verfügbar, wenn die Pharmazeuten es »innerhalb einer angemessenen Zeit« und »nach Abfrage bei mindestens zwei Großhändlern« nicht beschaffen können. Beanstandungen und Retaxationen schließt der Entwurf bei einem Arzneimittel-Austausch nicht aus. Für ihren Mehraufwand sollen die Apotheker einen Zuschuss von 50 Cent erhalten. Dies hatte die ABDA im Vorfeld scharf kritisiert.
Am 22. Juni berät der Bundestag voraussichtlich final über den Gesetzentwurf. Am 7. Juli ist nach PZ-Informationen ein zweiter Durchgang im Bundesrat geplant. Das Gesetz ist nicht zustimmungspflichtig im Bundesrat.