Ein Wirkstoff bei Hämophilie A und B |
Sven Siebenand |
20.09.2024 15:30 Uhr |
Bald könnte es einen neuen Wirkstoff geben, von dem sowohl Hämophilie-A- als auch Hämophilie-B-Patienten profitieren können. / Foto: Adobe Stock/MQ-Illustrations
Die Hämophilie umfasst eine Gruppe von Blutkrankheiten, die durch einen Mangel an bestimmten Gerinnungsfaktoren verursacht werden. Die normale Blutgerinnung ist dadurch gestört. Bei Hämophilie A fehlt es an Faktor VIII, bei Hämophilie B an Faktor IX.
Seit Jahrzehnten ist der häufigste Behandlungsansatz für Hämophilie A und B die Faktorersatztherapie, bei der die fehlenden Gerinnungsfaktoren ersetzt werden. Dadurch werden die Spiegel der Gerinnungsfaktoren im Körper erhöht, sodass die Gerinnung sich verbessert und es zu weniger Blutungen kommt. In den vergangenen Jahren gab es zudem einige Innovationen, etwa den bei Hämophilie A zugelassenen bispezifischen Antikörper Emicizumab sowie Gentherapeutika bei Hämophilie A oder B.
Das Wirkprinzip von Marstacimab ist anders. Der Wirkstoff zielt auf eine Domäne des Tissue Factor Pathway Inhibitors (TFPI) im extrinsischen Gerinnungsweg ab. Das ist ein natürliches Antikoagulationsprotein, das die Bildung von Blutgerinnseln verhindert. Das heißt, der neue Antikörper bremst die gerinnungshemmende Funktion von TFPI aus. Dadurch wird die Faktor Xa-Bildung erhöht, selbst wenn kein Faktor VIII oder IX vorhanden ist, was zu einer erhöhten Thrombinproduktion und Gerinnungsbildung führt, wodurch die Mängel im intrinsischen Gerinnungsweg umgangen werden.
Kurz gesagt: Durch die Verstärkung des extrinsischen Weges und die Umgehung von Defiziten im intrinsischen Gerinnungsweg erhöht Marstacimab die Verfügbarkeit von freiem Faktor Xa, wodurch die Thrombinbildung gesteigert und die Hämostase gefördert werden. Mit Concizumab gibt es einen weiteren Antikörper mit diesem Wirkmechanismus, für den bereits ein Zulassungsantrag bei der EMA vorliegt.
Marstacimab ist nun schon einen Schritt voraus. Die EMA-Experten sprechen sich für eine Zulassung des Antikörpers für die routinemäßige Prophylaxe von Blutungsepisoden bei Patienten mit schwerer Hämophilie A oder B ab einem Alter von zwölf Jahren und einem Mindestgewicht von 35 kg aus. Inhibitoren gegen Faktor VIII beziehungsweise IX dürfen nicht vorliegen. Marstacimab wird einmal wöchentlich subkutan appliziert.
Laut EMA besteht der Nutzen des neuen Antikörpers in der Verhinderung von Blutungen bei Patienten mit schwerer Hämophilie A oder schwerer Hämophilie B, wenn es als Prophylaxe verabreicht wird. Dieser Nutzen wurde in einer zwölfmonatigen klinischen Studie nachgewiesen, in der die Auswirkungen von Marstacimab auf die Blutungshäufigkeit mit der routinemäßigen faktorbasierten Prophylaxe verglichen wurden. Die häufigsten beobachteten Nebenwirkungen waren Reaktionen an der Injektionsstelle, Kopfschmerzen, Bluthochdruck und Juckreiz.
Abschließend muss nun die EU-Kommission entscheiden, ob sie den Vorschlag der EMA-Experten umsetzt. In der Regel ist dies eine Formsache, sodass mit der Zulassung eines ganz neuen Hämophilie-Medikaments in der nächsten Zeit zu rechnen ist.