Ein spezieller dopaminerger Neuronentyp geht verloren |
Theo Dingermann |
06.05.2022 09:00 Uhr |
Bei Morbus Parkinson bilden sich Proteinaggregate in dopaminergen Neuronen, die daraufhin absterben. Besonders ein Typ dieser Dopamin produzierenden Nervenzellen ist hierfür anfällig. / Foto: GettyImages/ Kateryna Kon/ Science Photolibrary
Dopaminerge (DA) Neuronen im Mittelhirn wurden erstmals Anfang der 1960er-Jahre entdeckt. Diese Neuronen in der Substantia nigra pars compacta (SNpc) lassen sich in eine ventrale (SNpcv) und eine dorsale Ebene (SNpcd) unterteilen. Die SNpcv-DA-Neuronen steuern die willkürlichen Bewegungen, und sie sind es, die bei Morbus Parkinson degenerieren. Die SNpcd-DA-Neuronen stellen hingegen Belohnung und Motivation sicher. Diese Neuronen bleiben bei Morbus Parkinson relativ verschont.
Mit dieser Charakterisierung gaben sich Wissenschaftler um Tushar Kamath vom Stanley Center for Psychiatric Research am Broad Institute of Harvard and MIT in Cambridge, Massachusetts, nicht zufrieden. Sie reicherten DA-Neuronen aus postmortalen menschlichen SNpc-Neuronen selektiv an und analysierten einzelne Zellen durch Einzelkern-RNA-Sequenzierung. So ließen sich zehn transkriptionell unterschiedliche Zell-Populationen unterscheiden, die die Wissenschaftler mithilfe einer hochauflösenden räumlichen Transkriptom-Technologie weiter charakterisierten.
Im Fachjournal »Nature Neuroscience« beschreibt das Team seine Ergebnisse, die es auf Basis der Charakterisierung von 387.483 einzelnen Kerngenomen, einschließlich 22.048 dopaminergen Neuronen, ableiten konnte. Auf Basis von 202.810 qualitativ sehr hochwertigen Zellkernen von zehn gematchten Individuen mit dokumentiertem pathologischem Verlust von DA-Neuronen im Mittelhirn gelang es, zelltypspezifische molekulare Veränderungen bei Parkinson-Patienten oder bei Patienten mit Lewy-Körper-Demenz zu identifizieren.
Gemeinsam ist diesen beiden Krankheiten, dass sie von einem Verlust dopaminerger Neuronen im SNpcv, von der Bildung von Lewy-Körpern, also abnormen Proteinaggregaten im Inneren der Zellen, und von einer Trias motorischer Kardinalsymptome – Steifheit, Bewegungsarmut und Tremor – begleitet sind. Allerdings treten im Rahmen einen Lewy-Körper Demenz wie bei der Alzheimer-Krankheit auch Plaques und Tangles sowie kognitive Beeinträchtigungen auf, was für Parkinson-Patienten nicht gilt.
Im Rahmen der molekularen Zellcharakterisierung fiel unter den zehn angereicherten Zellpopulationen ein bestimmter Zelltyp auf, der an einer bestimmten Stelle im Bereich der Substantia nigra lokalisiert ist, die besonders stark von dem Verlust von dopaminergen Neuronen bei Parkinson-Patienten betroffen ist. Die Zellen lassen sich von anderen Zellpopulationen klar durch die Expression des Angiotensin-II-Rezeptor Typ 1 (AGTR1) abgrenzen.
Neben dem AGTR1-Gen exprimieren diese Zellen auch noch die Transkriptionsfaktoren SOX6, CUX2 und ZNF91. Die beiden letztgenannten Transkriptionsfaktoren waren bisher noch nicht mit der Differenzierung von dopaminergen Neuronen in Verbindung gebracht worden. Dieses spezielle Expressionsmuster ermöglichte eine klare Identifizierung der vulnerablen Zellen und somit einen Zugang zum genaueren Verständnis der Funktion dieser Zellpopulation.
Wichtig ist, dass die identifizierte Zellpopulation sowohl in der Substantia nigra als auch im Nucleus caudatus am stärksten die Gene exprimierte, die in früheren genomweiten Assoziationsstudien mit der Parkinson-Krankheit in Verbindung gebracht worden waren. Das deutet darauf hin, dass sich ein genetisches Risiko für eine Parkinson-Krankheit bevorzugt in diesen anfälligen Neuronen auswirkt und deren Überleben beeinflusst. Transkriptionsveränderungen innerhalb von SOX6/AGTR1-Zellen bei Patienten mit Morbus Parkinson deuten zudem an, dass mehrere kanonische Zellstress-Signalwege beim Parkinson-assoziierten neuronalen Tod beteiligt sind.
Auch andere Zellen, darunter Astrozyten, Mikroglia, Oligodendrozytenvorläuferzellen und Endothelzellen im SNpc zeigten Veränderungen im Zusammenhang mit der Parkinson-Krankheit und der Lewy-Körper-Demenz. So wurde kürzlich gezeigt, dass bestimmte Oligodendrozyten bei sporadisch auftretender Parkinson-Krankheit angereichert sind. In diesen verändert sich auch die Expression bestimmter Gene vor dem Auftreten einer dopaminergen Neurodegeneration bei Parkinson.
Die Studie von Kamath und Kollegen ist vielleicht deshalb so bedeutsam, da sie die methodische und konzeptionelle Basis für eine Vielzahl von Folgestudien liefert. Auf dieser Basis wird es möglich sein, noch tiefer in die molekulare Pathologie bestimmten Zell-Subpopulationen von dopaminergen Neuronen einzudringen.