»Ein Retax-Machtwort wäre hilfreich« |
Alexander Müller |
12.01.2024 10:30 Uhr |
Eine Ursache für Fehler beim E-Rezept-Start sei die mangelhafte Nutzung der sogenannten Komfortsignatur in den Arztpraxen, sagt Claudia Korf, Geschäftsführerin Ökonomie bei der ABDA. / Foto: ABDA / Martin Jehnichen
PZ: Welche Note würden Sie der Umstellung auf das E-Rezept geben?
Die flächendeckende Einführung des E-Rezepts zum Jahreswechsel ist unterm Strich zwar etwas holprig, aber grundsätzlich positiv angelaufen: Eine Zwei Minus (10 Punkte) würde ich geben. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist dabei die Einlösung der E-Rezepte über die elektronische Gesundheitskarte. Allerdings zeigen sich in der Praxis immer wieder einzelne Unzulänglichkeiten, auf die wir das BMG und die Gematik im Dezember 2023 noch einmal ausführlich hingewiesen haben.
PZ: Auf den »Brandbrief« kommen wir noch zu sprechen, aber woran hakt es derzeit noch?
Zumeist liegen die Unzulänglichkeiten in der fehlerhaften Umsetzung einzelner PVS-Anbieter (Praxisverwaltungssysteme, Anm. d. Red.). Ein gravierendes Beispiel ist die mangelhafte Nutzung der sogenannten Komfortsignatur in den Arztpraxen, mittels derer eine sofortige Signatur der Verordnung und ihre zeitnahe Einlösung in der Apotheke ermöglicht wird. Einige PVS-Anbieter haben aber nur die Stapelsignatur zu Ende der Sprechzeit der Ärztin oder des Arztes im Programm, was dazu führt, dass die Patientin oder der Patient schneller in der Apotheke ist, als ihr oder sein E-Rezept vom Fachdienst heruntergeladen werden kann. Das widerspricht dem wesentlichen Gedanken eines E-Rezepts: Es soll aus Patientensicht mehr Komfort und Sicherheit bieten.
PZ: Ein weiteres Problem sind die fehlerhaften Berufsbezeichnungen der Ärztinnen und Ärzte. Gibt es eine Lösung?
Im Verordnungsdatensatz befüllt die Ärztin oder der Arzt dieses Feld derzeit beliebig. Der Fachdienst wiederum prüft nur, ob das Feld befüllt ist, aber nicht auf Sinnhaftigkeit oder gar Korrektheit. Beim Muster 16 konnte diese Angabe in der Apotheke ergänzt werden. Bei E-Rezept entfällt diese Möglichkeit. Ehrlich gesagt, ist es auch nicht Aufgabe der Apothekerinnen und Apotheker, solche Korrekturen durchzuführen. Vielmehr stellt sich die Frage, ob die entsprechenden Angaben nicht durch die qualifizierte elektronische Signatur mittels HBA überflüssig sind. Hier wäre eine Anpassung der AMVV für das E-Rezept sinnvoll. Alternativ müsste zumindest das Freitextfeld bei der Berufsbezeichnung durch ein Auswahlfeld ersetzt werden, dem die bundesmantelvertraglichen Berufsbezeichnungen zu Grunde liegen. Aber hier liegt der Ball erneut im Feld der KBV.
PZ: Und bis dahin?
Die Apotheken sind darauf angewiesen, dass E-Rezepte korrekt seitens der Ärzteschaft erstellt werden. Die Fehler liegen in der Regel nicht in der Sphäre der Apothekerschaft, sondern auf Verordnerseite.
PZ: Manchmal auch am System – Stichwort Heimversorgung.
In diesem Bereich gibt es Schwierigkeiten bei der Nutzung des E-Rezepts, weil viele Pflegeeinrichtungen noch nicht an die Telematik-Infrastruktur angeschlossen sind. Hier hilft nur die Verwendung des Muster 16 in der Übergangszeit. Das ist gesetzlich auch zulässig, da die technischen Voraussetzungen noch nicht gegeben sind.
PZ: Sie hatten in ihrem »Brandbrief« an das BMG vor Problemen bei der Umstellung gewarnt. Gibt es Verständnis für die Sorgen der Apothekerschaft?
Bislang liegt uns noch keine Antwort des BMG vor. Ich möchte aber betonen, dass wir laufend sowohl mit der Gematik als auch mit dem BMG in seiner Rolle als Mehrheitsgesellschafter und Normgeber im engen Austausch sind, um die Probleme zu lösen. Hinzu kommen die mühsamen Verhandlungsrunden mit dem GKV-Spitzenverband, regelmäßige Beratungen unserer eigenen Systemhäuser, der Austausch mit ärztlichen Standesvertretern und so weiter.
PZ: Wer ist verantwortlich für die mangelhafte Datenqualität bei den E-Rezepten?
Dass wir gerade bei technischen Fragen der E-Rezepte, die zwischen KBV und GKV-Spitzenverband verhandelt wurden, nicht ins Benehmen gesetzt wurden, rächt sich jetzt. Interpretationsspielraum bietet immer Freiheiten, stellt aber auch eine Fehlerquelle dar. Kurzfristig können dafür nur die Ärztinnen oder Ärzte sorgen, dass sich die Datenqualität verbessert.
PZ: Wie groß ist denn die Bereitschaft um eine konstruktive Mitwirkung? Und welche Rolle spielen die PVS-Anbieter?
Für die Ärzte können wir nicht sprechen. Aus der Praxis kennen wir positive und negative Beispiele, da lässt es sich schwer pauschalisieren. Lange Zeit war die Skepsis gegenüber dem E-Rezept auf Seiten der Ärzteschaft aber größer als bei uns. Die PVS-Anbieter scheinen das Thema auch recht spät für sich entdeckt zu haben.
PZ: Der DAV fordert kürzere Retaxfristen, damit die Apotheken nicht in einem Jahr von einer Retax-Welle überrollt werden. Wie stehen die Chancen?
Das können wir aktuell nicht einschätzen. Es wäre allerdings ein Gebot der Fairness und konsequent im Zusammenhang mit der Zielsetzung, Prozesse durch Digitalisierung zu beschleunigen.
PZ: Wie nehmen Sie die Positionierung der Krankenkassen wahr? Und haben Sie das Ministerium auf Ihrer Seite?
Wie bei vielen Themen verhalten sich die Krankenkassen auch beim Thema Retax nicht gleich. Die Krankenkassen tun sich mitunter schwer, bei offenkundigen Problemen eine Friedenspflicht oder Retaxfreiheit mit uns zu vereinbaren. Die Kassenseite fordert oftmals, dass wir auf die KBV zugehen und konkrete Missstände dort klären. Da wir jedoch nicht Vertragspartner der KBV sind, haben wir kaum Möglichkeiten, unsere Forderungen auf dem Verhandlungsweg durchzusetzen.
PZ: Was wäre aus Ihrer Sicht die Lösung?
Hilfreich wäre es, wenn für eine Übergangsfrist bei offenkundigen Problemen, die außerhalb der Einflusssphäre der Apothekerschaft liegen, eine Retaxfreiheit vertraglich festgelegt werden würde. Hierbei könnte das BMG beispielsweise mit einem weiteren »Machtwort« – wie es auch bei der Problematik der Chargenübermittlung beim Verblistern ausgesprochen wurde – unterstützen.
PZ: Was glauben Sie: Läuft das E-Rezept – wie vom Minister erwartet – in ein paar Wochen stabil und ohne Probleme?
Technisch stabil, ja. Ohne Probleme, sicher nicht. Wir werden zur Jahresmitte mit dem Hochlaufen der E-Rezeptzahlen noch weitere Stolpersteine detektieren und sukzessiv Hindernisse zu überwinden haben. Ein solches digitales Massenverfahren mit allen seinen wirtschaftlichen Konsequenzen hat unser Land noch nicht gesehen. Dass eine Transformation solchen Ausmaßes geräusch- und problemlos erfolgt, durfte niemand erwarten. Es dürfen aber in den Apotheken keine Kollateralschäden erzeugt werden. Der Minister weiß sehr wohl, dass öffentliche Apotheken wesentliche Bausteine einer digital überstürzten Versorgungslandschaft sind.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.