Ein Rasen voller Phrasen |
Jennifer Evans |
28.06.2024 07:00 Uhr |
Trotz aller Tradition bringt die Fußballsprache immer wieder neue Überraschungen hervor – ein Kick für Linguisten. / © Adobe Stock/ViDi Studio
Laut einer Studie des Instituts für Demografie Allensbach ist Fußball mit Abstand die beliebteste Sportart in Deutschland. Wen wundert es also da noch, wenn sich die Vorliebe auch in unserer Sprache zeigt. Fußballlingusitik heißt die Disziplin, die sich mit diesem Phänomen befasst.
Simon Meier-Vieracker, Professor für Angewandte Linguistik an der TU Dresden, ist Experte für die Phrasen vom Rasen. So hat er beispielsweise schon 180 verschiedene Verben fürs Schießen gezählt. Sie reichen von zwitschern, knallen und zimmern bis zu wuchten und zuckern. Erstaunlich findet er nach der Analyse unzähliger Liveticker auch, dass viele Ausdrücke teilweise nur ein einziges Mal aufkommen und nur im Zusammenhang mit dem Sport verständlich erscheinen.
Als Beispiel nennt er den Begriff »trüllern«, der sich nicht direkt auf Anhieb erschließen lässt. Und doch, wenn die Kommentatoren sagen: Er trüllert den Ball fulminant in die Maschen, dann sei gleich klar, was gemeint ist, so der Linguist, der einen eigenen Blog zum Thema Fußballlinguistik hat. Dieser habe allem Ulk zum Trotz den Anspruch, sprachwissenschaftlich gut belegte Erkenntnisse zu publizieren, schreibt er.
Die Floskeln vom Platz bleiben aber nicht immer dort. Im Gegenteil, sie begegnen uns überall, wie Meier-Vieracker berichtet. Die Rote Karte etwa bekommen wir auch gern mal in anderen Lebensbereichen gezeigt. Spätestens dann wird es Zeit, den Ball flach zu halten oder dem anderen zumindest nicht mehr reinzugrätschen. Ihm zufolge existieren einige Theorien, woher die Redewendung »Arschkarte ziehen« kommt. Eine davon besage, dass die Schiedsrichter meist Gelbe Karten in der Brusttasche und Rote Karten in der Gesäßtasche haben.
Mit Blick auf sein Forschungsgebiet spricht der Linguist auch gern mal von einer Bindestrichdisziplin. Damit spielt er auf die Tendenz zu einer starken Kompositabildung in der Fußballsprache an, die ihm bei seinen Analysen aufgefallen ist. Beispielweise taucht »Präsenz« in rund 100 verschiedenen Kombinationen auf – Offensivpräsenz, Präsenzproblem, Zugriffspräsenz. Andere beliebte Glieder der Komposita sind »Spiel« und »Grund«: Spielweise, Spielaufbau, Positionsspiel, Grundlinie und Grundformation. Andere zusammengesetzte Wörter sind nicht so festgelegt, welcher Teil zuerst und welcher danach kommt. Gemeint ist Aufbaudreieck oder Dreiecksaufbau sowie Passraum oder Raumpass.
Viel Raum für Kreativität bieten demnach auch Hashtags zu verschiedenen Spielen. Eine schöne Mischung aus den FIFA-Codes bei einem Spiel Deutschland gegen Ungarn könne etwa sein #HUNGER, schreibt er. Aber auch #NEPTUN (Nepal gegen Tunesien) oder #KORKEN (Korea gegen Kenia) ließen sich wunderbar generieren.
Besonders fasziniert Meier-Vieracker die Berechnung von sogenannten Word-Embeddings. Es geht um Wörter, die eine ähnliche Bedeutung haben, weil sie in ähnlichen Kontexten vorkommen. So ermittelte er mithilfe eines Algorithmus alternative Begriff für »Flanke«. Und zwar in absteigender Ähnlichkeit. Dabei kamen unter anderem folgende Ergebnisse heraus: Hereingabe, Zuspiel, Freistoßflanke, Flankenball, Querpass, Freistoßhereingabe, Anspiel, Steilpass, Bogenlampe, Kopfballverlängerung.
Dasselbe funktioniert natürlich auch für »gefährlich«. Demnach gleichen dem Adjektiv diese Wortbedeutungen von stark bis weniger stark: brandgefährlich, brenzlig, zwingend, zielgerichtet, konstruktiv, durchdacht, heikel, nachlässig.
Zum einen erstaunt den Sprachforscher, dass viele Floskeln sich über Jahrzehnte hinweg gehalten haben, und zum anderen, wie einfallsreich viele Sportberichte doch sind, dieselben Phänomene immer wieder neu zu benennen.