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AOH1996

Ein neues Breitband-Krebstherapeutikum?

Unkontrolliertes Wachstum ist die Basis für das maligne Verhalten aller Tumorzellen. Da liegt es nahe, diese Zellen an einer Stelle zu attackieren, wo diese unkontrollierte und meist schnelle Proliferation gesteuert wird. Das sogenannte »Proliferating Cell Nuclear Antigen« (PCNA) könnte sich als ein interessanter Kandidat erweisen.
AutorKontaktTheo Dingermann
Datum 04.08.2023  16:30 Uhr

Zuletzt wurde in der Laienpresse enthusiastisch berichtet, dass ein Wirkstoff gefunden wurde, mit dessen Hilfe es möglich sein könnte, bis zu 70 Tumorarten zu therapieren. Diese Meldungen basieren auf einer Pressemitteilung der City of Hope, einer der größten Krebsforschungs- und Krebsbehandlungsorganisationen in den USA. In dieser wird über eine gezielte Chemotherapie berichtet, mit deren Hilfe anscheinend alle soliden Tumoren in präklinischen Studien angegriffen wurden. Die Zielstruktur für diesen therapeutischen Ansatz ist das »Proliferating Cell Nuclear Antigen« (PCNA), eine zentrale Komponente des eukaryontischen Replikationskomplexes. Der Wirkstoff, der zwischenzeitlich auch bereits in einer Phase-I-Studie klinisch getestet wird, trägt den Entwicklungsnamen AOH1996.

Anlass für die Pressemitteilung war eine aktuelle Publikation in dem Wissenschaftsjournal »Cell Chemical Biology«. In dieser Arbeit schlagen die Forschenden um Long Gu vom Beckman Research Institute of City of Hope in Duarte, USA einen Mechanismus vor, wie AOH1996 die Anti-Krebs-Effekte entfaltet.

Was steckt hinter dieser vermeintlichen Sensationsmeldung?

Die Seniorautorin der Studie, Professorin Dr. Linda Malkas, erklärt in der Mitteilung den Mechanismus mit einer Metapher. »PCNA ist wie ein großes Flughafenterminal, das mehrere Flugsteige enthält«. Da PCNA in Krebszellen in einzigartiger Weise verändert sei, ähnele der Wirkstoffkandidat AOH1996, der nur auf die Form von PCNA in Krebszellen abziele, einem Schneesturm, der ein wichtiges Drehkreuz einer Fluggesellschaft schließt und alle Flüge nur für Flugzeuge mit Krebszellen unterbreche.

»Die Ergebnisse sind vielversprechend, denn AOH1996 kann das Tumorwachstum als Monotherapie oder als Kombinationsbehandlung in Zell- und Tiermodellen unterdrücken, ohne toxisch zu wirken« wird Malkas in der Pressmeldung zitiert.

Die zentrale Rolle von PCNA im Rahmen der Replikation

Das »Proliferating Cell Nuclear Antigen« (PCNA) kommt in allen eukaryotischen Zellen (Zellen mit Zellkern) vor. Es spielt eine zentrale Rolle bei der Regulation der DNA-Synthese und -Reparatur. Als sogenanntes Ringklemmenprotein umschließt es die DNA dort, wo Replikation stattfindet, Es ist  unverzichtbar für eine störungsfreie Verdopplung der beiden DNA-Stränge und damit auch für das Wachstum und Überleben von Krebszellen. 

Interessanterweise exprimieren Krebszellen zwei PCNA-Varianten, eine basische Isoform und in viel höherem Maße eine saure Isoform, die in normalen Körperzellen fast nicht exprimiert wird. Die saure PCNA-Isoform wird auch als caPCNA (cancer-associated PCNA) bezeichnet. Sie entsteht nicht durch eine Mutation oder alternatives Spleißen der mRNA, sondern eher durch eine posttranslationale Veränderung, also Modifikation des fertigen Proteins. Durch diese Modifikation wird im caPCNA-Molekül eine kleine Peptidregion mit acht Aminosäuren (L126-Y133)  besser zugänglich, die innerhalb der Interkonnektordomäne liegt, an die viele der mit PCNA interagierenden Proteine binden. Hier bindet auch der Wirkstoffkandidat AOH1996.

Als zentraler Knotenpunkt in der DNA-Replikation interagiert PCNA auch mit den DNA-Polymerasen δ (am Folgestrang) und ε (am Leitstrang), die die RNA-Primer verlängern, die immer den Start eines neu-synthetisierten DNA-Strangs bilden.

AOH1996 nutzt Schwachstelle der DNA-Replikation in schnell wachsenden Zellen aus

Bekanntlich wird DNA nicht nur in der S-Phase der Zellteilung repliziert, sondern auch ständig transkribiert. Jüngere Studien deuten darauf hin, dass es in bestimmten Situationen und an bestimmten Genomregionen zu Konflikten zwischen eukaryontischen Replisomen, den großen Replikationskomplexen, und den Transkriptionsmaschinerien kommt, die über das Genom verteilt aktiv sind. Dies kann zu Chromosomeninstabilität führen.

Hier glauben die Forschenden der City of Hope einen Schwachpunkt identifiziert zu haben, den sie mit dem Wirkstoff AOH1996 ausnutzen könnten. Die experimentellen Daten der Forschenden deuten an, dass AOH1996 auf diese sogenannte Transkriptions-Replikationskonflikte (TRCs) abzielt, die immer dann auftreten, wenn die Mechanismen, die zum einen für die Genexpression und zum anderen für die Genomverdopplung verantwortlichen sind, miteinander kollidieren.

Durch Immunpräzipitation konnten die Forschenden zeigen, dass AOH1996 die Interaktion zwischen caPCNA und der größten Untereinheit der DNA-abhängigen RNA-Polymerase II (RPB1), die im Rahmen der Transkription die in der DNA gespeicherte Information in RNA umschreibt, in einem Maße verstärkt, dass RPB1 von einer zellulären Kontroll-Maschinerie gezielt abgebaut wird und RPB1 aus den Krebszellen verschwindet.

Statt den Transkriptions-Replikationskonflikt aufzulösen, wird durch die AOH1996 vermittelte Stabilisierung der Interaktion zwischen caPCNA und RPB1 die Auflösung von TRCs verhindert. Dadurch wird auch verhindert, dass DNA-Schäden nach der Auflösung von TRCs repariert und die Transkriptions- und Replikationsprozesse unabhängig voneinander fortgesetzt werden. Stattdessen kommt es an den Kollisionsstellen zu DNA-Doppelsträngbrüchen.

DNA-Doppelstrangbrüche sind für Zellen tödlich, wenn sie nicht ordnungsgemäß repariert werden. Die Tatsache, dass Inhibitoren der Transkription durch AOH1996 induzierte DNA-Doppelstrangbrüche unterdrücken können, bestätigt, dass die durch AOH1996 verursachten DNA-Schäden transkriptionsabhängig sind.

Indem also das an caPCNA gebundene AOH1996 die durch TRCs verursachte Schwachstelle einer Tumorzelle ausnutzt, hemmt der Wirkstoff selektiv das Tumorwachstum, ohne eine erkennbare Nebenwirkung zu verursachen.

Unterschiedliche Einschätzung der Ergebnisse

Das betont auch der Chemiker Dr. Derek Lowe in einem Kommentar im Journal »Science«.  AOH1996 wirkte demnach in präklinischen Toxizitätstests an zwei Tierarten (Mäusen und Hunden) selbst bei einer sechsfach höheren Dosis als der wirksamen Dosis kaum toxisch. Hinsichtlich der Wirksamkeit lag in Zellversuchen die Konzentration für eine 50-prozentige Wachstumshemmung bei 70 verschiedenen Krebszelllinien im Durchschnitt bei etwa 300 nM, während sich bei verschiedenen Nicht-Krebslinien für Konzentrationen bis zu 10 µM keine toxischen Wirkungen zeigten. Sensitive Zellen reagierten mit Zellzyklus-Stillstand, Replikationsstress und Apoptose. Und die Anwendung von AOH1996 zusammen mit anderen bekannten Chemotherapeutika erhöhte die Sensitivität der Zellen gegenüber diesen Substanzen noch einmal deutlich, berichtet Lowe.

Deutlich kritischer äußert sich dagegen Professorin Dr. Dorothy Bennett, Director of the Molecular and Clinical Sciences Research Institute der University of London ,beim »Science Media Centre«. Zwar hält auch sie die Studie von Gu und Kollegen für interessant, da sie einen relativ neuen Ansatz zur gezielten Bekämpfung von Krebszellen untersucht. Sie zeigt sich aber enttäuscht, dass die Behauptung, der Anti-PCNA-Wirkstoff  würde »Krebszellen abtöten«, nur begrenzt zutreffe. Denn Daten, aus denen die Tötungsraten von Zellen beziehungsweise der Verlust der Koloniebildung, also der Teilungsfähigkeit hervorgingen, würden nur für drei menschliche Neuroblastomlinien vorgelegt. Diese zeigten zudem, dass nur einige und keinesfalls alle Zellen pro Kultur abgetötet würden.

Alle anderen Daten bezögen sich auf eine Verringerung des Wachstums und zeigten nicht einmal, dass das Nettowachstum der Kultur gestoppt würde, so die Expertin. Ebenso zeigen Tests an implantierten menschlichen Tumoren in Mäusen keine Zelltötung durch AOH1996, sondern eine Verlangsamung des Tumorwachstums bei drei Tumortypen.

Positiv zu vermerken sei allerdings, dass es offenbar breite Belege dafür gebe, dass dieser Wirkstoff das (in vitro)-Wachstum zahlreicher menschlicher Krebszelllinien verschiedener Typen hemmt und mehrere normale Zelltypen kaum schädigt, was lohnend machen sollte, den Ansatz weiter zu verfolgen.

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