Ein neuer Blick auf die Therapietreue |
Eine Verordnung ohne Mitspracherecht des Patienten: Diese paternalistische Form der Therapie gehört mittlerweile weitgehend der Vergangenheit an. / © Getty Images/Westend61
Wer die vom Arzt verordneten Medikamente regelmäßig einnimmt, erhöht die Chancen auf einen erfolgreichen Therapieverlauf. Trotzdem bleibt die konsequente Einnahme für viele Patienten eine Herausforderung. Fachleute sprechen dabei von Therapietreue – doch was bedeutet das genau? Begriffe wie Compliance und Adhärenz beschreiben diesen Prozess unterschiedlich. Ein genauer Blick zeigt: Hinter der Wortwahl steckt ein grundlegender Wandel in der Sicht auf die Rolle des Patienten.
Compliance meint: Der Patient befolgt die Anweisungen des Arztes. Das klingt zunächst positiv, rückt den Patienten jedoch in eine passive Rolle. Ärzte verordnen die Therapie, die Betroffenen setzen sie um – ohne mitzureden. In der Apotheke zeigt sich das etwa so: Eine Kundin holt regelmäßig ihr Blutdruckmedikament ab, obwohl sie unter ständiger Müdigkeit leidet. Sie äußert keine Fragen oder Wünsche. Verändert sie später die Einnahme oder setzt das Medikament ab, gilt sie als non-compliant. Das klassische Modell bewertet solches Verhalten negativ und hinterfragt die persönlichen Beweggründe nicht.
Hier setzt das Konzept der Adhärenz an. Es entstand, weil Fachleute das einseitige Compliance-Verständnis als unzureichend empfanden. Adhärenz bedeutet: Patient und Therapeut entscheiden gemeinsam über die Therapie. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert sie als das Maß, in dem das Verhalten einer Person mit den gemeinsam vereinbarten Empfehlungen übereinstimmt. Der Patient bleibt nicht bloßer Empfänger von Vorgaben, sondern wirkt aktiv mit. Eigenverantwortung und Selbstbestimmung werden gestärkt. Die Erkenntnis: Wer seine Behandlung mitgestaltet, hält sich eher daran.
Gemäß dem Modell der WHO bilden Faktoren, die den Patienten betreffen, daher auch nur eine Dimension der Adhärenz. Als weitere Dimensionen nennt die WHO Faktoren, die die Erkrankung betreffen, sozioökonomische Faktoren und solche, die im Zusammenhang mit der Therapie stehen. Bei einer Non-Adhärenz sollte demnach für die Ursachensuche das Gesamtbild betrachtet werden, statt einseitig auf den Patienten zu fokussieren.
Ein Beispiel: Ein Mann mit Typ-2-Diabetes kommt in die Apotheke. Er fragt nach, ob er seine Tabletteneinnahme zeitlich anpassen kann, da er durch Schichtarbeit unregelmäßig isst. Die Apothekerin nimmt sich Zeit, erklärt mögliche Varianten und rät zusätzlich zum Gespräch mit dem Arzt. So entsteht ein Dialog auf Augenhöhe. Adhärenz bezieht sich aber nicht nur auf die Einnahme von Medikamenten, sondern ist umfassender gedacht: Vorsorge, Eigenkontrolle, Schulungen, Lebensstil und die Bereitschaft zur Mitwirkung an den langfristigen Therapieentscheidungen gehören ebenso dazu.
Im Rahmen des Weltadhärenztags, der erstmalig am 27. März 2025 stattfand, wurden weltweit Informationskampagnen, Workshops und Veranstaltungen organisiert, um das Thema Adhärenz in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Apotheken nehmen in puncto Adhärenz eine Schlüsselrolle ein. Sie bieten einen niedrigschwelligen Zugang, beraten persönlich und begleiten Menschen oft über Jahre. Wer regelmäßig mit der gleichen Apothekerin, dem gleichen Apotheker spricht, fühlt sich sicherer und öffnet sich eher – das schafft Vertrauen und fördert die Adhärenz.