Editorial
Konsens
notwendig
Inzwischen zweifelt in der
Bundesrepublik Deutschland keiner mehr daran, daß der
Umbau der sozialen Sicherungssysteme notwendig ist, denn
die finanzielle Belastbarkeit des Systems aber auch des
einzelnen ist an Grenzen gestoßen. Der
Wirtschaftsstandort Deutschland ist gefährdet, wenn sich
Beitragserhöhungen weiterhin auf die Lohnnebenkosten
niederschlagen.
Einsichten, die allgemein geteilt werden. Nur über den
richtigen Weg zu einem neuen Sozialstaat wird heftig
gestritten: Opposition gegen Regierungskoalition,
Arbeitnehmer und Gewerkschaften gegen Arbeitgeber und die
Krankenkassen gegen die Leistungserbringer.
In dem Konzert der Lösungsvorschläge spielen immer
wieder amerikanische Vorbilder, sogenannte
Managed-Care-Systeme, eine Hauptrolle, insbesondere von
den Krankenkassen ins Spiel gebracht. Daß diese
Lösungen meist nur ökonomische Ansätze bieten und
wahrscheinlich deshalb von den Kassen favorisiert werden,
ist aus der augenblicklichen finanziellen Notsituation
der Krankenkassen verständlich. Man sollte aber
weiterdenken und auch die Patienten von Beginn an in die
Diskussion der Lösungen aus der verfahrenen Situation
einbinden, denn letztlich sind sie es, die in das System
mehr einzahlen oder auf Leistungen verzichten müssen.
Wenn schon Amerika ein schlechtes Vorbild ist, sollten
sich die Verantwortlichen einmal mit näher liegenden
Gesundheitssystemen beschäftigen, die dem der
Bundesrepublik Deutschland ähnlich sind, wie Schweden,
Norwegen und Finnland. Als Kenner der skandinavischen
Systeme ist Dr.Uwe K.Preusker der Meinung, daß es sich
durchaus lohne, diese Systeme näher zu betrachten, zumal
die drei Länder ähnliche aktuelle Probleme hatten und
zum Teil noch haben wie Deutschland. Die Skandinavier
sind allerdings schon einen Schritt weiter, Sie haben, in
Deutschland weitgehend unbemerkt, entscheidende
Veränderungen in ihren Systemen bereits vollzogen, die
in Deutschland augenblicklich undenkbar wären.
Ohne Proteste oder Streiks wurden der Leistungskatalog
verändert und Zuzahlungen neu festgelegt, zum Beispiel
beim Arztbesuch. Bestehende Zuzahlungen wurden erhöht,
ein Hausarztsystem bei freier Arztwahl und
leistungsbezogene Vergütungen sowie Markt- oder
Quasi-Marktmechanismen im Krankenhaus eingeführt.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzungen in
Deutschland, wo mit Vokabeln wie Sozialabbau oder
Zweiklassenmedizin jeder Versuch einer Strukturänderung
im Gesundheitswesen bereits im Ansatz tot geredet wird,
sind die skandinavischen Strukturänderungen der
Gesundheitssysteme bemerkenswert. Der Unterschied der
Skandinavier zu den Deutschen liegt offensichtlich darin,
daß nüchterner und gelassener die Umstrukturierung
begonnen wurde, weil alle eingesehen hatten, daß das
Gesundheitswesen in der Zukunft nicht mehr nach dem alten
Muster finanzierbar ist.
Die Zauberformel der Skandinavier heißt
gesellschaftlicher Konsens zur Rettung des Gesamtsystems
und nicht Pflege von Einzelinteressen, wie es bei uns
augenblicklich stattfindet. Wenn wir Deutschen also
Vorbilder suchen, sollten wir nicht nach Amerika blicken,
sondern in den Norden Europas, wo drei kleine Staaten uns
vormachen, wie das Gesundheitswesen gerettet werden kann.
Dr. Hartmut Morck
Chefredakteur
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