Editorial
von Hartmut Morck,
PZ-Chefredakteur
Der Schock sitzt tief. Fast überfallartig wurden die Leistungserbringer, auch die
Apothekerschaft, von dem Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der Solidarität der
Gesetzlichen Krankenversicherung beziehungsweise des
GKV-Solidaritätsstärkungsgesetzes (GKV-SolG) überrascht.
Wieder einmal soll nach dem schon unter Seehofer praktizierten Muster der
Arzneimittelbereich zur Spardose der GKV werden. Die von den meisten
Sozialexperten geteilte Meinung, daß die Gesetzliche Krankenversicherung kein
Ausgaben-, sondere ein Einnahmenproblem hat, hat sich bei der rot-grünen
Koalition offensichtlich beim Verfassen dieses Gesetzes noch nicht
herumgesprochen, denn das GKV-SolG ist ein klassisches Kostendämpfungsgesetz
und kann durchaus mit seinen Vorgängern konkurrieren.
Sollte das Gesetz mit dem vorgesehenen Arzneimittelbudget auf der Basis von 1996
minus 4,5 Prozent am 18. Dezember im Bundesrat verabschiedet werden - bei den
Mehrheitsverhältnissen wahrscheinlich - dann würde jede einzelne Apotheke nach
den Berechnungen der ABDA mit einem Rohertragsverlust von etwa 50.000 DM
dieses Sparpaket finanzieren. Das als Stärkung der Solidarität zu interpretieren, fällt
schwer.
Es wäre aus meiner Sicht falsch, wie bei den Vorgängergesetzen häufig geschehen,
dieses Gesetz nach dem Motto "Die Suppe wird nicht so heiß gegessen, wie sie
gekocht wurde" gelassen auf sich zukommen zu lassen. Denn diese Suppe, um im
Bild zu bleiben, wurde zu schnell gekocht, ist zu scharf gewürzt und angebrannt.
Auch kalt wird sie keinem schmecken. Und auslöffeln müssen sie in erster Linie die
Apotheker, die Pharmaindustrie und der Großhandel. Vielleicht aber auch der
Versicherte: Denn unter Umständen könnten die geringeren Belastungen der
Patienten durch die Senkung der Zuzahlungen an anderer Stelle wieder kompensiert
werden. Die neue Festbetragsregelung des GKV-SolG, nach der der Festbetrag
den höchsten Abgabepreis des unteren Drittels des Preisspektrums der jeweiligen
Festbetragsgruppe nicht übersteigen darf, birgt den fatalen Automatismus einer
Preissenkungsspirale in sich, dem sich die Pharmaindustrie, wenn sie gut beraten ist,
nicht beugen sollte.
Würden die Preise also bei der neuen Festlegung der Festbeträge nicht gesenkt,
müßten die Patienten die Preisdifferenz zum Festbetrag zahlen. Das heißt, was der
Gesetzgeber durch Zuzahlungssenkung dem Versicherten geschenkt hat, muß er
unter Umständen bei den Festbetragsarzneimitteln mehr zahlen. Auch nicht unbedingt
als Stärkung der Solidarität zu interpretieren.
Schwerer wiegt aber nach meiner Meinung die Tatsache, daß die Umsatzverluste bei
den Apotheken nicht mehr durch Rationalisierungen kompensiert werden können. Es
wird zweifellos zu Entlassungen, das heißt zu Rationierungen kommen müssen, mit
der Folge einer Minderung der Versorgungsqualität im Arzneimittelbereich. Damit
wird ein mittelständischer Gewerbezweig nachhaltig geschwächt.
Von der im Wahlkampf angekündigten Stärkung der neuen Mitte ist für die
Apotheken bereits beim ersten Gesetz nichts übriggeblieben. Darüber hinaus wurden
wenige Tage nach der Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder
einige seiner Aussagen durch dieses Gesetz bereits konterkariert. Vor dem
Bundestag hatte Schröder angekündigt: "Jede Maßnahme, jedes Instrument kommt
auf den Prüfstand, ob es vorhandene Arbeit sichert oder neue Arbeit schafft. Und
wir wollen uns jederzeit, nicht erst in vier Jahren, daran messen lassen, in welchem
Maße wir zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen."
Das GKV-SolG war wohl kaum auf diesem Prüfstand. Vielleicht ist aber auch die
Meßlatte, die sich die Regierung gesetzt hat, so niedrig, daß entlassene
Apothekenmitarbeiter nicht zählen.
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