Editorial
Mut aufbringen
Auch wenn das 1.
GKV-Neuordnungsgesetz in der letzten Woche vom Bundestag
mit der Mehrheit der regierenden Koalitionsparteien
verabschiedet wurde und in Kraft tritt, die Probleme der
Gesetzlichen Krankenversicherungen sind damit nicht
gelöst.
Das Grundproblem der GKV bleibt unberührt: Die GKV hat
im Gegensatz zu Äußerungen vieler Politiker auf der
Ausgabenseite die wenigsten Probleme, es gab auch keine
Kostenexplosion, obwohl die immer wieder von der Politik
als Begründung für Maßnahmen zur Kostendämpfung
zitiert wird.
Das Problem der GKV liegt in erster Linie auf der
Einnahmenseite. Rund vier Millionen Mitglieder in der GVK
sind arbeitslos, dazu kommen Rentner und mitversicherte
Familienmitglieder, die nur geringe oder gar keine
Beiträge zahlen. Alle nehmen aber volle Leistungen aus
der Versicherung in Anspruch. Nach Angaben der
Gesetzlichen Krankenversicherung zahlen nur noch 40
Prozent der Versicherten Beiträge ein. Es liegt also auf
der Hand, daß deren Beiträge nicht mehr ausreichen
können, um den Leistungskatalog für alle auch in der
Zukunft im vollen Umfang zu garantieren.
Dieses Problem mit Zuzahlungen beziehungsweise
Selbstbeteiligungen, wie es durch die Neuordnungsgesetze
geschehen soll, in den Griff zu bekommen, ist aus meiner
Sicht falsch und greift die Grundfesten der solidarisch
finanzierten Gesetzlichen Krankenversicherung an. Denn
Solidarität kann nicht bedeuten, daß die Kranken mehr
bezahlen, die Gesunden unter Umständen durch
Bonusmodelle entlastet werden. Solidarität ist nach wie
vor so definiert, daß Gesunde auch für Kranke und
Besserverdienende für die weniger Verdienenden zahlen.
Dieses Prinzip sollte auch in der Zukunft Bestand haben.
Ansonsten nähern wir uns amerikanischen Verhältnissen.
Die Analyse der Einnahmen der Krankenversicherung zeigt
auch, daß es offensichtlich nicht ausreicht, die
Beiträge allein auf die Arbeitserträge zu beziehen.
Eine richtige Strukturreform der sozialen
Sicherungssysteme der Bundesrepublik Deutschland muß
daher auf der Einnahmenseite beginnen. Über neue
Finanzierungssysteme muß schnellstens nachgedacht
werden. Das heißt unter anderem, nicht nur die Erträge
aus Arbeit sollten der Sozialversicherungspflicht
unterzogen werden, sondern auch andere Einkünfte, wie
Mieten oder Kapitalzinsen. Eine solche grundsätzlich
neue Finanzierungsstruktur hätte auch für den Standort
Deutschland Vorteile, denn die Arbeitskosten würden
nicht durch höhere Lohnnebenkosten belastet. Ein solche
Lösung würde auch dem Solidaritätsgedanken der
gesetzlich verankerten sozialen Sicherungssysteme
entsprechen.
Es wird Zeit, daß die Flickschusterei durch
Gesundheitsstrukturgesetze beendet wird und die Politik
den Mut aufbringt, eine echte und gerechte, auf dem
Prinzip der Solidarität aufbauende Finanzierungsreform
der Gesetzlichen Krankenversicherung einzuleiten. Nur so
läßt sich auch für das nächste Jahrtausend ein
stabiles soziales Netz erhalten.
Dr.Hartmut Morck
Chefredakteur
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