Auf dem Holzweg |
07.11.2005 00:00 Uhr |
Die Programme sind Makulatur. Die Föderalismusreform ist das bedeutendste Reformprojekt, auf das sich SPD und Union bislang haben verständigen können. Es wird die einzig wirkliche Reform bleiben. Abgesehen davon hat es läppische zwei Jahre gedauert, bis sich Bund und Länder sowie die Parteien selbst auf das Werk hatten verständigen können. So viel Zeit hat eine große Koalition nicht, wenn sie die Probleme des Staates lösen will. Aufgeschoben klingt hier wie aufgehoben.
Nehmen wir nur an, die Koalitionäre wollten die Probleme tatsächlich lösen, dann fehlt zwar nicht mehr der Wille, wohl aber der Weg. Und es fehlt der rote Faden. Der ist in all den Arbeitsgruppensitzungen und Spitzentreffen verloren gegangen. Irgendwo abhanden gekommen im Nahles-Müntefering-Platzeck-Stoiber-Merkel-Hickhack. Oder er ist bei den Ministerpräsidenten und deren Bedürfnissen hängen geblieben.
Wie sehr dieser rote Faden oder der große Plan fehlt, zeigt sich am Beispiel der Gesundheitspolitik. In den Programmen las man allerhand von Bürgerversicherung und Gesundheitsprämie. Nun wird der Wahlbürger darüber in Kenntnis gesetzt, dass es erst frühestens im nächsten Jahr etwas mit der großen Reform wird.
Stattdessen werden nun im Gesundheitssektor diejenigen zur Kasse gebeten, die aus Sicht einiger Außenstehender zu viel an den Kranken, an den Gesunden und am System überhaupt verdienen. Das Prinzip ist bekannt: Die Leistungserbringer sind dran.
Aus dem Medienthema Naturalrabatt wird ein Politikum, aus dem Politikum ein Gesetz: Also weg mit den Rabatten bei den Apothekern und sicherheitshalber noch ein paar Prozente bei den Generikaherstellern einfahren. Das Ganze wird von einem Preismoratorium ergänzt. Die Halbwertzeit solcher Maßnahmen ist bekanntlich kurz. Die Abstände solcher populistischen Aktionen werden immer kürzer. Wer glaubt, ein Gesetz binde langfristig, gebe Sicherheit und schaffe Vertrauen, sieht sich auf dem Holzweg.
Die große Koalition hat große Probleme zu bewältigen, aber ihr fehlt nicht nur der große Plan. Es fehlt am Mut zum Konsens, an Entschluss- und letztlich an Tatkraft. Die Verantwortlichen sind geschockt von immer größeren Haushaltslöchern, verunsichert vom großen Druck, der nun auf ihren doch nicht so breiten Schultern lastet.
Die Kreativen haben in dieser Koalition jedenfalls nicht das Sagen: Weder Mehrwertsteuererhöhung noch Reichensteuer zeugen davon, dass die politische Kaste dieses Landes verstanden hat, was wirklich fehlt. Was bleibt, ist eben doch nicht mehr als der kleinste gemeinsame Nenner.
Thomas Bellartz
Leiter der Hauptstadtredaktion
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