Editorial
von Dr Hartmut Morck,
Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung
Nach der Rentendebatte im Bundestag letzte Woche fällt es nicht schwer
festzustellen, die Politik paralysiert sich selbst. Nichts läuft mehr vor den
Bundestagswahlen 1998. Alle Politiker haben Angst, sich mit unpopulären
Maßnahmen die Chancen für die Wahlen zu verbauen. Dies werden sie allerdings
machen müssen, wenn die vom Arbeitsminister vorgelegten Hochrechnungen für die
Rentenfinanzierung im Jahre 1998 stimmen. Nichtstun wird das System noch
schneller an die Wand fahren und der Wahlsieger, egal welche Partei, wird Mühe
haben, die Scherben aufzukehren. Nur, dann ist es zu spät.
Deshalb muß man den Arbeitsminister Norbert Blüm direkt bewundern, wenn er die
Beiträge zur Rentenversicherung 1998 auf 21 Prozent anheben oder wenn die
Koalition die Mehrwertsteuer zur Finanzierung der Renten auf 16 Prozent erhöhen
will. Man muß allerdings mutmaßen, daß diese Vorschläge vielleicht nur deshalb
gemacht wurden, weil man sicher ist, daß sie nicht Gesetz werden. Also: Das Chaos
bleibt, weil die großen bürgerlichen Parteien lieber auf die Wahlen als auf sichere
Renten schielen.
In der gesetzlichen Krankenversicherung sieht es ähnlich aus. Arbeitnehmer und
Arbeitgeber werden sich 1998 auf höhere Beitragsbemessungsgrenzen einstellen
müssen - zumindest in den westlichen Bundesländern. Das ist nichts anderes als eine
indirekte Beitragserhöhung, allerdings nur bei den sogenannten Besserverdienenden,
die - aus welchen Gründen auch immer - sich freiwillig den gesetzlichen
Krankenversicherungen angeschlossen haben. Die indirekten Beitragserhöhungen
werden auch nicht auf Widerstand stoßen, denn sie sind ja, um mit dem Vokabular
der Politiker zu argumentieren, sozial verträglich. Trotzdem werden die
Lohnnebenkosten steigen, die Arbeit in Deutschland teurer und Kaufkraft
abgeschöpft werden. Sicherlich keine volkswirtschaftlich sinnvolle Maßnahme. Die
Mehreinnahmen sind darüber hinaus nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, zumal in
den östlichen Ländern eine Senkung der Beitragsbemessungsgrenze für 1998
ansteht, was die dortigen Kassen in noch weitere Finanznöte bringen wird.
Was man auch politisch anfaßt, nichts von den Maßnahmen wird das
Krankenversicherungssystem retten, nur den Tod aufschieben. Es wird Zeit, daß
sich die Politiker ihrer Verantwortung bewußt werden, und endlich den breiten
Konsens für eine langfristig gesicherte Finanzierung suchen. Die
Krankenversicherung hat, wie auch schon an dieser Stelle betont, nicht unbedingt
Ausgabenprobleme, sondern in erster Linie Einnahmenprobleme, weil viel zu viele
aus dem System Leistungen fordern, ohne selbst einzuzahlen.
Deshalb wird man nur dann eine praktikable Lösung finden, wenn man ein anderes
Finanzierungssystem findet und sowohl die Krankenversicherung als auch die
Rentenversicherung von versicherungsfremden Aufgaben entrümpelt. Der Weg über
eine Mehrwertsteuererhöhung um einen Prozentpunkt könnte der
Rentenversicherung helfen. Ein weiterer Prozentpunkt würde zusätzlich die
gesetzlichen Krankenversicherungen sanieren. Unter dem Strich werden die
Bundesbürger sich bei allen Lösungen darauf einstellen müssen, mehr für ihre
Gesundheit und für ihre Altersversorgung ausgeben zu müssen.
Politiker seid mutig, und sagt es euren Wählern. Die Sanierung sowohl der Renten-
als auch der Krankenversicherung kann nicht bis nach den Wahlen warten.
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