Editorial
von Gisela Stieve
Stellvertretende Chefredakteurin
Die Schweizer provozieren eine Grundsatzdebatte über die Arzneimittelpolitik. Die
Bevölkerung soll in einer Volksinitiative "für eine sichere und gesundheitsfördernde
Arzneimittelversorgung (Arzneimittelinitiative)" sagen, ob sie eine Kommerzialisierung
des Arzneimittels gutheißt, sprich das US-Muster mit wettbewerbs- und
preisgesteuertem Gesundheitsmarkt ohne Solidarität. Oder ob sie ein
Arzneimittelsystem nach europäischem Muster wünscht, basierend auf kommerzieller
Zurückhaltung und Solidarität und getragen von den Dienstleistungen des
Apothekers. Eine spannende Frage, wie ich meine. In der Schweiz spielt sich heute
schon ab, was auf Europa zukommt.
Die Schweiz ist das Pilotland auf dem Kontinent, sagte Dr. Max Brentano, Präsident
des Schweizerischen Apothekervereins (SAV) kürzlich bei einem Gespräch in Bern.
Das Multi-Kulti-Land vereint Kantone mit Apothekenmonopol und mit
Selbstdispensationsrecht der Ärzte. Versandhandel für Medikamente ist legal
ebenso wie Mischformen der Distribution.
Der SAV ist davon überzeugt, daß die Arzneimittelsicherheit erheblich gefährdet ist,
wenn Medikamente über neue Distributionskanäle vertrieben werden und den
Offizin-Apotheker in dem Geschäft überflüssig machen wollen. Brentano dazu: "Man
verdrängt damit nicht in erster Linie Pillendreher und Verkäufer von der Szene,
sondern kundige Berater - also ausgerechnet jene Fachleute, die bei der
Bekämpfung unsachgemäßen Medikamentengebrauchs dringend gebraucht werden".
Beobachten wir also, was sich in den kommenden Wochen und Monaten in der
Schweiz tut. Bemerkenswert läßt sich schon jetzt das Modell der Stammapotheke
nennen - gemeinsam erprobt von der "Caisse Vaudoise", einem Krankenversicherer
im Waadtland, und dem Schweizerischen Apothekerverein. Hier ist man "dem
Optimum auf der Spur". Die Stammapotheke führt ein Behandlungsdossier, in dem
vom Arzt verordnete Medikamente, aber auch frei gekaufte Arzneien registriert
werden. Aufgrund dieser Übersicht kann die Stammapotheke Falsch- und
Doppelverschreibungen aufspüren oder beratend eingreifen, wenn eine weitere
Einnahme von Medikamenten sinnvoll oder unnötig erscheint. Die Schweiz zeigt
damit, daß man Bewährtes weiterentwickeln kann, ohne sein Wertesystem über
Bord zu werfen.
Ob in Deutschland oder der Schweiz - Die Ziele sind für verantwortungsvolle
Pharmazeuten doch immer die gleichen: Bessere Effizienz der Arzneimitteltherapie zu
- nolens volens - kontrollierten Kosten. Die Schweizer Bürger wollen sich dieses
Wertesystem nicht von kommerziellen Interessen zerschlagen lassen. Deshalb halte
ich die Volksinitiative für eine gute Sache.
© 1997 GOVI-Verlag
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