Editorial
von Christiane Berg
Redakteurin der Pharmazeutischen Zeitung
Neuland betrat die Bundesapothekerkammer mit der Wahl des Themas "Grundlagen
und Methoden von Pharmaceutical Care" auf ihrem 23. Seminarkongreß vom 15.
bis 19. September 1997 in Westerland auf Sylt (siehe auch PZ 40). Chancen
wurden aufgezeigt, die Worthülse Pharmazeutische Betreuung mit Leben zu füllen.
War bislang nur ersichtlich, daß das Apothekenwesen am Anfang einer
umwälzenden Entwicklung steht, so war in Westerland für alle deutlich spürbar, wie
die Pharmazie des nächsten Jahrtausends aussehen kann.
Als Instrument zur Umsetzung von Pharmaceutical Care in der Apothekenpraxis
schilderte Almut Müller-Jäger, Bonn, die Erstellung von
Arzneimittelanwendungsprofilen, eine Methode, die die DPhG-Fachgruppe
Allgemeinpharmazie unter Leitung von Privatdozentin Dr. Marion Schaefer erstmals
im September 1996 bei der DPhG-Jahrestagung in Berlin vorgestellt hat (siehe PZ
41/96, Seite 52).
Das graphische System, mit dessen Hilfe es möglich ist, Übersicht über den
Arzneimittelgebrauch einzelner Patienten zu gewinnen, wurde ursprünglich von
Professor Dr. Arijan Porsius, Universität Utrecht, entwickelt. Es kommt in den
Niederlanden bereits zum Einsatz. Die Anwendungsprofile erlauben Aussagen zur
Dosierung und Compliance. Ursachen, die zu Unregelmäßigkeiten in der
Arzneimitteleinnahme geführt haben, lassen sich identifizieren.
Sind sporadisch genommene Arzneimittel sinnvoll? Werden Medikamente unter
verschiedenen Namen eventuell zweifach genommen? Gibt es Interaktionen oder
Kontraindikationen? Werden Arzneimittel eingenommen, die dazu dienen,
Nebenwirkungen anderer Medikamente abzufangen, oder für die keine Indikation
vorliegt? Diese und andere Fragen lassen sich mit Hilfe der
Arzneimittelanwendungsprofile beantworten.
Müller-Jäger verwies auf die Möglichkeit der Erarbeitung von standardisierten
Software-Programmen, die automatisch Interaktionen und Kontraindikationen
checken, Hinweise auf Neuverordnungen und Dosierungsänderungen geben,
Rückschlüsse von Arzneimitteln auf dauerhafte Erkrankungen erlauben oder
Speicher- und Dokumentationsmöglichkeiten für erbrachte Beratungsgespräche und
Dienstleistungen bieten. Mittelfristig verspricht sie sich einen
pharmakoökonomischen und somit gesellschaftlichen Nutzen.
Trotz aller Begeisterung und Euphorie über die Methode wurden in Westerland auch
Bedenken laut. Es hieß, der Apotheker trage zur Abschaffung des eigenen
Berufsstandes bei. Doch: Wer das Risiko scheut, geht letztlich das größte Risiko ein.
Ich teile daher die Meinung derer, die von einem Weg sprechen, auf dem es sich
lohnt weiterzugehen, wenn im selben Atemzug alles zur Stärkung der "sprechenden
Pharmazie" getan wird.
Wir sind aufgefordert, darüber nachzudenken, wie sich diese Vorschläge in den
Apothekenalltag integrieren lassen. Das Modell überzeugt, da es dem Apotheker bei
der Schaffung entsprechender Organisationsformen Zeit und Raum gibt, das
Gespräch sowie die soziale Nähe zum Patienten zu suchen und zu pflegen. Auf Sylt
war die Zukunft der Pharmazie greifbar nah. Auf dem Weg dahin war dieser
BAK-Kongreß ein Meilenstein.
© 1997 GOVI-Verlag
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