Editorial
von Hartmut Morck,
PZ-Chefredakteur
Mit der Ankündigung, daß die AOK Hamburg und Berlin "erstmalig in diesen
Wochen für das Kalenderjahr 1996 Beiträge erstatten", schreiten die
Auflösungserscheinungen des solidarischen und paritätisch finanzierten
Krankenversicherungssystems weiter voran.
Zwar bemüht sich die AOK Hamburg in einer Pressemeldung, die Rückerstattung
als eine Erprobungsregelung herunterzuspielen und sie sogar als Unterstützung des
Prinzips der solidarischen Krankenversicherung zu verkaufen, aus dem Pressetext ist
aber zwischen den Zeilen deutlich herauszulesen, welches Ziel die Rückerstattung
haben soll: Die AOK möchte Anreize schaffen, um die Versicherten zum Bleiben in
der Krankenkasse zu bewegen.
Mit Solidarität hat das allerdings nichts mehr zu tun. Denn Solidarität bedeutet, auch
in der AOK-Pressemitteilung: Versicherte mit höherem Einkommen stehen ein für
diejenigen mit niedrigem Einkommen, Junge für Ältere, Gesunde für Kranke. Wenn
die AOK dieses Prinzip befolgen würde, dann frage ich mich, was das mit
Solidarität zu tun hat, wenn sie dem jungen, gutverdienenden gesunden Mitglied
einen Monatsbeitrag als Prämie zurückzahlt? Die Antwort ist jedem logisch
Denkenden klar: Nichts! Es drängt sich vielmehr der Verdacht auf, ob die AOK mit
solchen Bonusregeln ihre Mtgliederstruktur von großen Risiken, also alten und
kranken Versicherten, reinigen möchte, natürlich vorläufig nur in einer
Erprobungsregelung.- Vielleicht klappt es ja!
Dazu kommt noch eine andere Besonderheit dieses Rückerstattungssystems:
Zurückbezahlt wird ein voller Monatsbeitrag bis zu 870 DM. Das heißt, der
Versicherte bekommt Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil ausgezahlt. Ich hoffe, die
AOK ist sich der steuerlichen Bewertung ihrer Maßnahme bewußt, abgesehen
davon, daß hier die paritätische Finanzierung der Beiträge ad absurdum geführt wird.
Strenggenommen, steht die Hälfte der Rückzahlung dem Arbeitgeber zu, und beide
müßten diese Boni als Einnahmen versteuern. Ich kann nur hoffen, daß zumindest die
Finanzbehörden dieser unsolidarischen Erprobungsregelung ein Ende bereiten, wenn
die Aufsicht der Krankenkassen dies versämen sollte.
Ich habe volles Verständnis für die Reaktionen der Ersatzkassen, die damit gedroht
haben, die Ausgleichszahlungen an die Ortskrankenkassen im Rahmen des
Risikostrukturausgleiches zu stoppen. Zumindest sollten sie aus meiner Sicht um die
Summe der Rückerstattungen gekürzt werden.
Es klingt schon grotesk, wenn der Verwaltungsratsvorsitzende des
AOK-Bundesverbandes, Gerd Nachtigal, den Vorwürfen der Ersatzkassen mit der
Äußerung begegnet: "Ein solcher einnahmeorientierter Solidarausgleich erfaßt eben
nicht solche Elemente wie die Beitragsrückerstattung."
Boni lassen sich nur aus dem bezahlen, was man übrig hat. Wenn nichts übrig bleibt,
werden sie aus den Ausgleichszahlungen des Risikostrukturausgleiches bezahlt.
Ehrlicher wäre es, zu gestehen, daß mit solchen Regelungen knallharter Wettbewerb
betrieben wird, um Mitglieder mit geringeren Risiken zu halten. Das Solidarprinzip
wird also auf diese Weise dem Wettbewerb geopfert.
© 1997 GOVI-Verlag
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