Editorial
von Rainer Vollmer,
Bonner Korrespondent
der Pharmazeutischen Zeitung
In der Ärzteschaft findet derzeit eine Spaltung in einer Glaubens- und Finanzfrage
statt: Kostenerstattung oder Sachleistung heißen die Alternativen. Nachdem der
Gesetzgeber auch den Pflichtversicherten die Entscheidung für eine Kostenerstattung
zugestanden und damit Privilegien der freiwilligen Krankenversicherten aufgehoben
hat, war der Streitfall ab 1. Juli vorgezeichnet.
Sicherlich wurden viele Kassenärzte durch Kassenbürokratie übermäßig malträtiert:
durch Formulare und aufwendige Verträge zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen
und Bundesvereinigung, durch Gesetze wie Budget- und Negativlisten. Dennoch
bietet die Sachleistung auch Vorteile. Sie ist unkompliziert im Vertragsverhältnis
zwischen Ärzten und Patienten. Sie bietet für beide Seiten ein bestimmtes Maß an
kontrollierter Sicherheit. Andererseits hat die Kostenerstattung Vorteile. Sie hebt auf
eine engere Abstimmung der medizinischen Behandlung zwischen Arzt und Patient
ab, sie ist frei von Zwängen der bürokratisch formulierten Wirtschaftlichkeit, sie
öffnet Wege für eine individuellere Beziehung und Behandlung.
Diesen positiven Aspekten stehen natürlich auch einige negative Auswirkungen
gegenüber. Nicht jeder kann mit der Kostenerstattung umgehen, nicht jeder Patient
kann sie aus der Westentasche bezahlen, nicht alle medizinischen Behandlungen sind
sinnvoll, die Oualitätssicherung könnte auf der Strecke bleiben.
Auch die Apotheker werden von diesen Systemauseinandersetzungen berührt. Denn
mit der Kostenerstattung sollen sich die Patienten auch für Privatrezepte entscheiden.
Wenn der Patient sie bezahlen kann und wenn er die Problematik überblickt, ist es
gut so. Wenn er sich aber überraschen läßt von Preis und Leistung, dann beginnt
bereits in der Offizin der Sturm der Entrüstung.
Da ist es notwendig zu wissen, was bei den Vertragssärzten passiert. So hat der
Hartmannbund eine große Aktion vorbereitet. Ärzte sollen in ihren Wartezimmern
einen Hinweis aushängen, in dem die Versicherten aufgefordert werden, sich als
Privatpatienten behandeln zu lassen, nämlich durch Kostenerstattung. Der Patient
erhält schriftliche Hinweise auf diese Form der Kostenabrechnung, und Arzt und
Patient sollen einen vorformulierten Vertrag unterschreiben. Der Patient kann sich in
diesem Vertrag auch für Privatrezepte entscheiden. Das wäre im Rahmen des
Gesetzes. Passagen des Vertrages und des Wartezimmeraushangs sind es aber nicht
mehr. Denn dem Versicherten wird suggeriert, daß er "eine Erstattung seiner
Krankenkasse weiterhin" behält. Daß er "eventuell eine Selbstbeteiligung" tragen
muß.
Und genau hier beginnt die Problematik. So wie im Hartmannbund-Text die
Kostenerstattung dargestellt ist, wird der Patient in die Irre geleitet. Eine
wahrscheinlich justitiable Werbung, denn in der Vergangenheit hat die Wirtschaft in
Deutschland wegen ähnlicher Fälle viel Lehrgeld zahlen müssen. Der Verband der
Ersatzkassen und die Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten haben
bereits protestiert.
Für die Apotheker aber auch eine höchst schwerwiegende Angelegenheit: Der von
garantierten Zuzahlungen überraschte Patient wird seinen Ärger - oder seine
Enttäuschung - in der Apotheke loslassen. Nicht nur, daß damit erheblicher
Beratungsbedarf entsteht. Ein streitender Kunde ist schließlich nicht die beste
Empfehlung. Etwas weniger Euphorie über die möglichen Veränderungen in der
Arztpraxis würde der Sache dienlicher sein.
© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de