Editorial
von Rainer Vollmer
Bonner PZ-Korrespondent
Der Beschluß des Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen, alle Arzneimittel zur
Behebung der erektilen Dysfunktion nicht mehr von den Krankenkassen zahlen zu
lassen, war erwartet worden. Allein die möglichen Kosten der "Ära Viagra" hätten
die Kassen der Kassen gesprengt - obwohl die vorgelegten Zahlen, rund 7,5
Millionen impotente Männer in Deutschland und ein Kostenfaktor von bis zu 25
Milliarden DM, falsch sind und nie bewiesen wurden.
Dennoch birgt die Entscheidung des Bundesausschusses Sprengstoff, und den sogar
angehäuft. Alle gelieferten Begründungen münden nämlich in eine Tatsache. Erstmals
wird nicht mehr bei möglichen Kassenleistungen rationalisiert, sondern kurz und
bündig rationiert.
Viagra-Verschreibungen sind nicht wirtschaftlich, so lautet das Credo der Ärzte und
der Krankenkassen. Es könne Mißbrauch geben, weil die Häufigkeit von Sex
individuell sei und damit der Bezieher von Potenzpillen einen Teil wieder verkaufen
könne.
So einfach, so lächerlich ist das Argument: Die Krankenkassen können es sich nicht
leisten. Also gibt es das Medikament nicht.
Natürlich mögen die Mittel zur erektilen Dysfunktion - Viagra als Lifestyle-Droge -
von Versicherten in höherem Alter lustvoll eingesetzt werden. Aber wie sieht es mit
den Kranken aus? Mit Diabetikern und Multiple-Sklerose-Patienten, mit
Hochdruck-Patienten und anderen? Wenn das Problem vom Bundesausschuß
negiert wird, muß auch einmal nachgefragt werden: Mädchen bis 20 Jahre erhalten
auf Kassenkosten die Pille, wegen behebbarer Krankheit? Die vor allem von
bestimmten soziologischen Gruppen benutzte und von Kassen bezahlte Sterilisation
besonders bei Männern, ist das Krankheit? Die von Kassen bezahlte künstliche
Befruchtung, ist das Folge einer Krankheit? Immerhin hat der Ausschuß bei
Potenzmitteln verkündet: "Aufgabe zur Sachleistung bei Krankheitsfolgen endet dort,
wo der private Lebensbereich prägend in den Vordergrund tritt."
Das alles sind Hilfsargumente, die nicht stimmig mit dem übrigen Leistungskatalog
der gesetzlichen Krankenversicherung sind. Aber aus der Not hat der
Bundesausschuß eine Tugend gemacht: Er war zu feige, klipp und klar zu sagen:
"Wir können die Kosten nicht tragen, wir rationieren durch Ausschluß."
Offensichtlich ist das politisch nicht opportun und verträgt sich wohl auch nicht mit
dem Selbstverständnis der Mitglieder des Bundesausschusses Ärzte und
Krankenkassen. Denn er "erfüllt nach Gesetz und Recht seine Aufgaben", wie der
juristisch vorgebildete Vorsitzende Staatssekretär a. D. Karl Jung zu Recht betont.
Dabei bezieht sich Jung ausdrücklich auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts,
das die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf den Bundesausschuß als
legitim ansieht und verfassungsrechtliche Bedenken nicht teilt.
Aber auch hier: Jung sieht Beschlüsse von Sozialgerichten, Viagra müsse einem
Patienten von seiner Krankenkasse bezahlt werden, als nicht verbindlich für den
Bundesausschuß an. Außerdem ist bekannt, daß das Bundessozialgericht schon
immer politisch opportun urteilte.
Wie dem auch sei: Es wackelt kräftig im gesetzlich reglementierten
Gesundheitswesen: Die Rationierung kommt, die Argumente täuschen, die Juristerei
wird viel Arbeit bekommen.
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