Editorial
von Thomas Bellartz
Chef vom Dienst
Gleich nach der Fußball-WM ist Frankreich zum Mekka des Radsports avanciert.
Ungewöhnlich nur, daß die Frankfurter Allgemeine Zeitung statt von der Tour de
France oder der Tour der Leiden zunächst von "Krummen Touren" berichtet. Und
dies gleich neben dem Leitartikel auf Seite eins.
Die Tour de France sei "wie eine Apotheke auf Rädern ins Rollen gekommen" heißt
es da. In der "Tour-Apotheke" sei alles zu haben: Amphetamine als Aufputschmittel,
Anabolika als Kraftmacher, Erythropoietin zur Steigerung der Ausdauer.
Der Apotheker aus deutschen Landen nimmt dies zur Kenntnis und schüttelt den
Kopf ob solch unverantwortlichen Umganges mit Arzneistoffen und Arzneimitteln.
Der Teamchef der - neben der deutschen Telekom-Truppe - favorisierten
Mannschaft sitzt ebenso in Untersuchungshaft wie der Mannschaftsarzt. Der
Masseur des französischen Teams hatte 400 Ampullen mit Arzneimitteln über die
belgisch-französische Grenze schaffen wollen - und war dabei dem Zoll in die Hände
gegangen. Bescheid gewußt hatten übrigens alle: Teamchef, Mannschaftsarzt und die
Fahrer selbst!
Unter den Ampullen waren allein 150 mit Erythropoietin gefüllte Fläschchen. Mit
dieser Menge hätte man, bestätigte auch der Arzt des deutschen Teams, eine ganze
Woche lang 50 Dialysepatienten auf hohem Niveau versorgen können. Solche
Mengen werden ohnehin nur von Dialysestationen eingekauft! "Besorgt" wurden die
leistungssteigernden Mittelchen durch einen belgischen Apotheker. Besorgt war der
freilich nicht...
Überall im Sport wird gedopt. Dies gelte für 99 Prozent aller Radsportprofis, wird
da behauptet. Ein Schweizer Radprofi soll nach der unkontrollierten Einnahme von
Perfluorcarbon unlängst nur knapp dem Tod entronnen sein. Erfolg ist käuflich, für
Sponsoren und die Medien sogar meßbar und damit das Maß der Dinge. Der Preis
spielt in jeglicher Beziehung keine Rolle mehr. Auch wenn der Preis, den der Athlet
zahlen muß, doch unbezahlbar sein sollte: Die Gesundheit bleibt auf der Strecke, und
mit ihr auch der Athlet - nach dem Erfolg. Während wir die Siege und Rekorde
eines triumphierenden Radrennfahrers, unserer Leichtathleten, Boxer oder auch
Fußballer und Rennfahrer bejubeln, fragen wir uns, welche Präparate ihnen
möglicherweise zugeführt sein mögen, um Topleistungen überhaupt erst möglich zu
machen.
In einer Leistungsgesellschaft werden Gesetze außer Kraft gesetzt. Moral, Ethik,
Fairneß und Gesundheit sind nicht mehr als schmückendes Beiwerk. Der
Leistungsdruck und seine Folgen sind vielfältig. Wieviele Eltern "dopen" ihre Kinder
zu besseren Noten? Wieviele Karrieristen schwören auf Aufputschmittel jenseits von
Kaffee und Tabak?
Schlimm ist, daß es helfende Hände zuhauf gibt; personifizierte Gewissenlosigkeit im
Umgang mit Medizin und Pharmazie. Hier zeigt sich, wie wichtig nicht nur Kontrollen
sind, sondern wie sehr auch die fundamentale Ausbildung zum Beispiel der
deutschen Apotheker gebraucht wird. Die Meßlatte muß in einem grenzenlosen
Europa in Medizin und Pharmazie ganz oben liegen. Dort, wo Grenzen verwischt
werden, sind gerade in einer leistungsorientierten Gesellschaft klare Aussagen
gefordert. Klare Aussagen für einen hohen Standard in Europa, einen Standard, wie
ihn die deutschen Offizinen bieten. Eine klare Aussage aber auch zu den
vermeintlichen Idolen, die - unter Zuhilfenahme welcher Mittel auch immer - nicht
nur sich, sondern auch einer Gesellschaft schaden, der sie als Vorbilder dienen
sollten.
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