Editorial
von Gisela Stieve
Stellvertretende Chefredakteurin
"Verbraucherzentrale: Kundenberatung in Apotheken mangelhaft." Diese Meldung
aus Nordrhein-Westfalen sollten wir nicht als Sommertheater abtun. Immerhin hat
die Verbraucherzentrale des Landes über drei Monate lang 225 Apotheken in 14
Städten "überprüft". Die Prüfer gaben sich einer Meldung der Deutschen
Presseagentur zufolge als übergewichtig aus und fragten, wie sie wieder schlank
werden könnten. Dann das vernichtende Urteil der Verbraucherzentrale.
Nur jeder sechste Apotheker habe den Testkunden nach möglichen falschen
Eßgewohnheiten gefragt, nur jeder zehnte, wie oft der Kunde am Tag Mahlzeiten zu
sich nimmt, jeder zwanzigste nach vorhandenen Krankheiten. Fast 90 Prozent der
getesteten Pharmazeuten hätten sich nicht danach erkundigt, ob der Kunde
regelmäßig Sport treibt. Nur vier Apotheke stellten den Diätwunsch der tatsächlich
normalgewichtigen Personen in Frage. Die Apotheker interessierten sich praktisch
nicht für den Ist-Zustand oder die Anamnese. Jeder fünfte Apotheker habe nach
Meinung der Verbraucherzentrale "ausschließlich medizinisch fragwürdige Produkte"
wie Sättigungskapseln und Ballaststoff-Präparate empfohlen.
Statt fachgerecht zu beraten, gehe es vielen Apothekern nur um den Verkauf
teilweise ominöser Präparate, schließt die Verbraucherzentrale. Also sollen nach
Meinung der Verbraucherzentrale Apotheker diese Mittel und "Wunderdiäten" aus
dem Sortiment nehmen. Der Verkauf dieser Mittel in Apotheken werte diese zudem
auf.
Letzteres hört man schon wieder gern. Da wird dem Vertriebsweg Apotheke
Exklusivität und Seriosität bescheinigt. Trotzdem weiß ich nicht, wer bei solchen
Meldungen die schlechteren Karten hat: der Journalist, der die Überschrift noch ein
bißchen aufbläst, damit die Meldung auch zieht, oder die Apotheker, die angeblich
oder offenbar mangelhaft beraten haben.
Schlechte Karten haben bei solchen Meldungen vor allem die Standesvertreter, die
im Vertrauen auf die Leistungen ihrer Kollegen immer wieder die reine Lehre
predigen, damit sich Beratung und Betreuung als typische pharmazeutische
Leistungen in den Köpfen der Verbraucher und damit auch der Politiker festsetzt.
Die ABDA gibt für ihre Image-Kampagne mit nachgewiesenen Erfolgen Millionen
aus - und dann das! Die Schlagzeile steht, Dementis bringen nicht viel.
Schon in früheren Jahren sind Testkäufe mit versteckter Kamera oder laufendem
Tonband zu einem Sommerthema vieler Rundfunk- und Fernsehanstalten geworden.
Selbst wenn hier statistische Ausreißer vorgeführt werden, der Berufsstand nimmt
Schaden, und die ABDA hat denkbar schlechte Karten, um in Bonn und Brüssel
glaubhaft politisch Einfluß zu nehmen. Was nutzt die reine Lehre, wenn nicht alle an
der Basis mitziehen?
Wer seine Trümpfe verspielt - und sei es in der Frage, daß ein Dicker dünner
werden will - braucht sich nicht zu wundern, wenn er demnächst nicht mehr dabei
ist, wenn die Karten gegeben werden. Verantwortung fängt da an, wo ein Patient
oder Kunde die Apotheke betritt.
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