Editorial
von Dr.
Hartmut Morck,
Chefredakteur
"Seit 30 Jahren hat sich Deutschland am
Mittelmaß orientiert" und "die deutschen
Hochschulen sind für Ausländer nicht mehr
attraktiv". Zwei Erkenntnisse, die in Lindau
anläßlich der 47. Nobelpreisträgertagung Ende Juni vom
bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Edmund Stoiber und
vom Staatssekretär des Bundesministeriums für Bildung,
Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dr. Fritz
Schaumann, vorgetragen wurden.
Erkenntnisse, die nicht neu sind, aber von der Politik
bisher ignoriert wurden.
Wie anders soll man sonst den Stolz der Landesväter
interpretieren, die nach wie vor die Qualität einer
Universität an der Anzahl der Studenten messen? Masse
ist aber nun mal nicht Klasse, und ich kann dem
bayerischen Ministerpräsidenten nur zustimmen, daß in
der Bildung das Mittelmaß zur Leitlinie geworden ist. Es
ist müßig, heute nach den Ursachen zu fahnden. Es ist
viel wichtiger, Auswege aus dieser offensichtlich auch
politisch akzeptierten Bildungsmisere zu suchen. Das muß
bereits in der Schule beginnen. Wenn heute über 50
Prozent eines Schuljahrgangs das Abitur anstreben (vor 30
Jahren waren es knapp 20 Prozent), dann ist die Frage
gestattet: Sind Deutschen in dieser Zeit soviel klüger
geworden? Die Antwort lautet: Nein, nur das
Leitungsniveau ist gesunken. Auch an den Universitäten.
Die Forderung muß also lauten, die Voraussetzungen für
den Zugang zur Hochschule neu zu definieren. Das kann nur
heißen, den Leistungsanspruch anzuheben Das setzt
allerdings voraus, daß allen, die die Hochschulreife
nicht erreichen, adäquate Ausbildungs- und Berufschancen
geboten werden. Deutschland kann es sich
volkswirtschaftlich nicht mehr leisten, Nichtabiturienten
gesellschaftlich geringer einzustufen. Deutschland kann
sich aber auch nicht mehr die Massenuniversität leisten,
deren Output dem internationalen Vergleich nicht mehr
standhält. Deutschland ist als Exportland ohne
Bodenschätze darauf angewiesen, Know-how zu exportieren,
das heißt, Hightech-Produkte zu produzieren. Dies
geschieht zur Zeit nicht. Japaner und Amerikaner haben
den Deutschen die Führungsposition unter den Nationen
der Forscher und Denker abgerungen.
Wenn Deutschland die Führungsposition zurückerobern
will, brauchen wir meiner Meinung nach eine vollkommen
andere Bildungspolitik. Eine Bildungspolitik, die auf
Leistung und Wettbewerb setzt. Symposien mit
hochtrabenden Titeln wie "Initiative für
Bildung" oder "Bildung 2000" reichen nicht
aus. Sie demonstrieren nur Hilflosigkeit der zur Zeit
politisch Verantwortlichen. Die begrenzten finanziellen
Ressourcen müssen sinnvoller als bisher eingesetzt
werden. Sie dürfen auf keinen Fall gekürzt, sondern
sollten aufgestockt werden. Wichtig wäre außerdem, daß
für die staatlich finanzierte Forschung ein
Leistungsnachweis erbracht werden muß.
Wenn schon zwei Politiker in ihrer Erkenntnis auf dem
richtigen Weg sind, sollten sie auch die Konsequenzen
daraus ziehen und ein neues, leistungsfähiges
Bildungssystem etablieren. Die Macht hätten sie dazu,
das Geld müßten sie sich bei anderen besorgen. Es wird
Zeit, daß etwas gechieht. Ansonsten besteht die Gefahr,
daß Deutschland wissenschaftlich und in der Folge auch
wirtschaftlich den Anschluß verliert und zum
Entwicklungsland wird.
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