Editorial
von Dr.Hartmut Morck
Chefredakteur
Wer glaubt, daß Nobelpreisträger introvertierte, vergeistigte, vom täglichen Leben
abgehobene Persönlichkeiten sind, der wurde in Lindau bei der 48. Tagung der
Nobelpreisträger Ende Juni 1998 eines Besseren belehrt.
Sie mischen sich ein und melden sich zu Wort, wenn die Weiterentwicklung der
Forschung und damit der Wissenschaft durch die politischen Rahmenbedingungen
nicht mehr gewährleistet ist.
Kein Verständnis kann zum Beispiel Professor Dr. Rudolf Mößbauer, Physiker und
Nobelpreisträger aus München, für die augenblickliche, auch von Politikern
geschürte Technologiefeindlichkeit sowie für die Finanzierung der Universitäten
aufbringen. Er könne heute keinem deutschen Wissenschaftler mehr empfehlen, an
der Universität zu bleiben, um dort zu forschen. Die Einheit von Forschung und
Lehre sei an den Hochschulen längst zerstört. Die Universität sei zur Massenfabrik
degradiert, wo leistungsbezogene Selektionsmechanismen nicht mehr funktionieren.
Die deutsche Universität sei nicht mehr die Schmiede der Forscher, die Nobelpreise
erhalten könnten.
Ein deutliches Urteil über den Zustand der deutschen Universitäten, dem man sich
nur anschließen kann. Die Hoffnung, daß die Politik dadurch wachgerüttelt wird,
habe ich allerdings nicht, denn alle angedachten Reformpläne deuten nicht daraufhin,
die Qualität der Universität zu fördern, sondern sie quantitativ weiter aufzublähen.
Die Tatsache, daß fast 50 Prozent eines Schuljahrganges studieren wollen, ist leider
nicht Ausdruck eines überdurchschnittlichen Bildungsniveaus, sondern eines
Leistungsniveauabbaus. Es wird Zeit, daß die Politik dies erkennt und die Universität
wieder zu dem macht, was sie einmal war, die Schmiede einer geistigen,
leistungsfähigen Elite.
Die Konsequenz muß also heißen, mehr Geld in die Universität zu stecken, um die
Qualität zu verbessern. Dazu gehört auch, Grundlagenforschung zu unterstützen und
nicht ständig zu fragen, welchen praktischen Nutzen könnte diese Forschung haben.
Die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Entdeckung Mößbauers ist ein klassisches
Beispiel dafür. Als er die Resonanzphänomene der Gammastrahlen entdeckte, ahnte
noch niemand, welche Vielzahl von praktischen analytischen Möglichkeiten in der
Chemie, in der Biologie und in der Medizin damit verbunden sind.
Dem Appell der besseren Förderung der Grundlagenforschung schloß sich auch
Professor Dr. Jerome Karle, Nobelpreisträger aus Washington, an, der beklagte,
daß auch in den USA unter Clinton die staatliche finanzielle Unterstützung der
Grundlagenforschung vernachlässigt würde. Er knüpfte die Befürchtung daran, daß
die westliche Hemisphäre langsam aber sicher ihren wissenschaftlichen und damit
auch den gesellschaftlichen Vorsprung, an Südostasien, insbesondere China,
verlieren wird, wenn diese Politik nicht aufgehalten würde.
Ein Appell, der von der Politik ernst genommen werden sollte, denn die Perspektive
kann nur sein, daß die bisher in der Wissenschaft führenden Nationen, zu
Entwicklungsländern würden. Deutschland ist bereits auf dem besten Weg dorthin.
© 1997 GOVI-Verlag
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