Editorial
von Gisela Stieve
Stellvertretende Chefredakteurin
Man muß den Kassenvertretern gut zuhören. Einerseits halten sie zumindest einen
Teil der öffentlichen Apotheken für überflüssig, andererseits wollen sie sich
pharmazeutischen Sachverstand einkaufen, weil auch die Kassen nicht auf das
Wissen der Arzneimittelfachleute verzichten können.
Die Kassen haben ihr Selbstverständnis erweitert. Sie sehen sich nicht mehr nur als
Beitragsverwalter, sondern wollen mit Rat und Tat, mit Know-how und
Netzstrukturen in den Gesundheitsbetrieb eingreifen. Sie verstehen sich demzufolge
nicht mehr nur als Institution, die im Krankheitsfall für Betroffene da ist, sondern als
Interessenvertreter aller Versicherten, auch der Gesunden. Das jedenfalls erklärte
Gerhard Schulte, BKK Bayern, bei einer Podiumsdiskussion in Heidelberg.
Die Besucher des Gesundheitspolitischen Forums - überwiegend Apotheker -
konnten weiter vernehmen, daß Beratungsapotheker gegenüber den öffentlichen
Apotheken die bessere Chance haben werden, in Praxisnetze intergriert zu werden.
Indem die Kassen pharmazeutische Leistung einkaufen, werden sie die öffentlichen
Apotheken nicht abschaffen können, weil sonst ein logistisches Loch entsteht.
Mit der Anstellung ändert sich meist auch die Motivation der Berufsausübung. Ein
Beratungsapotheker der Kassen ist in erster Linie Mitarbeiter einer Körperschaft
des öffentlichen Rechts, der dem Glaubensgrundsatz der Wirtschaftlichkeit und somit
seit dem Gesundheitsstrukturgesetz erheblichem Druck ausgesetzt ist. Deshalb lautet
das Glaubensbekenntnis: Jede Kassenleistung muß bedarfsgerecht, von
hochwertiger Qualität und wirtschaftlich sein.
Der Kassenapotheker will und muß für sein Unternehmen im Sinne der
Beitragssatzstabilität wirtschaftlich arbeiten. Nicht, daß er die Qualität der
Versorgung aus dem Auge verlieren würde. Sie tritt aber an die zweite Stelle zurück.
Und das ist der Unterschied zum öffentlichen Apotheker, der als Freiberufler
unabhängig entscheiden und handeln kann. Er fühlt sich in erster Linie dem Patienten
und der Versorgungsqualität verbunden. Er will den Arzt beraten, damit er nicht
angstgesteuert verordnet. Deshalb lehnen Apotheker Einkaufsmodelle strikt ab. Sie
gefährden die Qualität der Arzneimittelversorgung und den freien Beruf des
Apothekers.
Die freien Apotheker sollten deshalb den Krankenkassen in Sachen
Arzneimittelinformation nicht zu viel Spielraum lassen und die Sache selbst in die
Hand nehmen. In Münster zum Beispiel hat gerade eine erste
Informationsveranstaltung "Die individuelle Verordnungsanalyse unter dem Aspekt
der qualitativ hochwertigen und wirtschaftlichen Arzneimitteltherapie" mit 120
Apothekern stattgefunden. Qualität muß immer die Motivation pharmazeutischen
Handelns sein.
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