Editorial
von Dr. Hartmut Morck,
PZ-Chefredakteur
Ein "Igel" sorgt zur Zeit für Unruhe im Gesundheitswesen. Was steckt dahinter? Die
Ärzte haben die politikfreie Zeit aktiv genutzt und mit ihrer Liste "Individueller
Gesundheitsleistungen (IGEL)" eigene Vorschläge zur Gestaltung des zukünftigen
Kataloges ärztlicher Leistungen zusammengestellt, die nicht über die Gesetzliche
Krankenversicherung (GKV) abgerechnet werden sollen. Diese Liste könnte auch
als Negativliste ärztlicher Leistungen definiert werden.
Vom Prinzip her entspricht die Liste dem seit 1993 verfolgten Bestreben der
Krankenkassen, Leistungen einzuschränken oder auszugrenzen. Bisher waren
allerdings die Arzneimittel das einzige Übungsfeld der Krankenkassen.
Deshalb erstaunt die Reaktion einiger Krankenkassen auf diese Liste: Sie
akzeptieren den Vorschlag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nicht als
Diskussionsgrundlage für eine Rationalisierung des Leistungsangebotes der GKV,
ohne daß die medizinische Versorgung der Versicherten an Qualität verliert. Statt
dessen schlagen die Krankenkassen, in vorderster Front der Vorsitzende des
AOK-Bundesverbandes, Hans-Jürgen Ahrens, mit dem verbalen Holzhammer auf
den IGEL ein, wohl in der Hoffnung, sich selbst nicht weh zu tun. Vom Abzocken
der Ärzte ist die Rede, obwohl einige Leistungen der Liste ohnehin von den
gesetzlichen Krankenkassen nicht ersetzt werden.
Man wird bei dieser Diskussion an die Blockadepolitik der letzten Jahre in Bonn -
Bundestag contra Bundesrat - erinnert. Vielleicht wollen auch die Krankenkassen
die politische Wende in Bonn abwarten, um weitreichendere Strukturänderungen in
der Gesetzlichen Krankenversicherung politisch durchzusetzen.
Die Verweigerung der Krankenkassen zur sachlichen IGEL-Diskussion ist um so
erstaunlicher, als in dem Serviceangebot der Krankenkassen durchaus auch
unsinnige Leistungen wie Bauchtanz- und Yogakurse enthalten sind. Diese sollten
sicher nicht nach dem Solidarprinzip durch die Beiträge aller Versicherten bezahlt
werden. Sie gehören also auch zur Rationalisierungsreserve in der GKV.
Man sollte daher den Ärzten dankbar sein, daß sie den Mut aufgebraucht haben,
den Katalog ärztlicher Leistungen nach sinnvollen, solidarisch zu finanzierenden und
medizinisch weniger notwendigen, vom einzelnen zu zahlenden Leistungen
durchforstet zu haben. Die Politik und auch die Krankenkassen haben bisher diesen
Mut nicht aufgebracht. Die Apotheker können dem Anliegen der Ärzte zustimmen,
denn damit ist die Diskussion über Rationalisierungsreserven im GKV-Bereich nicht
mehr nur auf den bisherigen "Spartopf" Arzneimittel beschränkt.
Daß Rationalisierungen im Gesundheitswesen notwendig sind, wird von keinem mehr
bestritten. Wenn sie nicht vorgenommen werden, bleibt nur noch die Rationierung,
die allerdings keiner will, vor allem nicht die Politiker im Wahlkampf.
© 1997 GOVI-Verlag
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