Editorial
von
Hans-Günter Friese,
Präsident der ABDA,
Fax 0 61 96/92 81 26
Hundert Tage sind einem neuen Amtsinhaber zu gewähren,
um sich in seine Aufgaben einzuarbeiten. Hundert Tage
soll seine Arbeit zurückhaltend beobachtet werden - so
eine ungeschriebene Regel in der großen Politik.
Aufgrund meiner Erfahrungen als ehemaliger Präsident der
Bundesapothekerkammer kann und will ich derartige
Schonfristen und Einarbeitungszeiten nicht beanspruchen,
auch wenn man sie mir gewähren wollte.
Die aktuelle Situation im Gesundheitswesen läßt es auch
gar nicht zu, mit zeitlichen Verzögerungen auf die
Anliegen aus Politik und Gesellschaft zu reagieren.
Insbesondere die am letzten Donnerstag verabschiedeten
Erhöhungen bei den Zuzahlungen werfen Fragen auf, die im
Vorfeld der Verabschiedung im Bundestag mit der Politik
intensiv diskutiert wurden. Welche Übergangsfristen gibt
es, und wie werden die Apothekenorganisationen über die
Erhöhungen von den Krankenkassen informiert? Daß
Lösungen dieser Probleme keinen Einzug in das Gesetz
gefunden haben, muß die Politik verantworten und ist
kein Versäumnis der ABDA.
Die Apotheker werden auch nicht bereit sein, den Inhalt
der Neuordnungsgesetze gegenüber den Kranken, die bis zu
15 DM pro Rezept mehr zuzahlen müssen, zu verteidigen,
oder die Verantwortung für Mängel in der Umsetzung
übernehmen. Deshalb appellieren wir an die Politik und
an die Krankenkassen, nicht das Schwarze-Peter-Spiel
weiterzuführen und nicht alle Umsetzungsschwierigkeiten
auf die Leistungserbringer, also auf uns Apotheker, zu
schieben. Politik und Krankenkassen sind jetzt
aufgefordert, ihren Wählern beziehungsweise Versicherten
die Kumulation der Zuzahlungen zu erklären.
Wenn wir uns auch bei den dramatischen
Zuzahlungserhöhungen politisch nicht durchsetzen
konnten, haben wir zumindest einen Teilerfolg erzielen
können, indem die kassenspezifischen,
indikationsbezogenen Zuzahlungen aus dem Gesetzesentwurf
gestrichen wurden.
Auch hat der Minister Wort gehalten, daß das
Arzneimittel nicht im Mittelpunkt der Neuordnungsgesetze
steht und die Vorstellungen der Krankenkassen bezüglich
Versandhandels und Fremd- und Mehrbesitzes keinen Einzug
in die dritte Stufe der Gesundheitsreform genommen haben.
Mit den dramatischen Erhöhungen der Zuzahlungen um 5 DM
pro Medikament sind die Arzneimittel allerdings mittelbar
wieder zur zentralen Dispositionsmasse geworden - mit
direkten Auswirkungen auf den Patienten und damit auf
dessen Arzneimittelversorgung, mit spürbaren
wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Apotheken und die
Arzneimittelhersteller, da durch die hohen Zuzahlungen
massiv Kaufkraft abgeschöpft wird.
Die ersten hundert Tage waren also keine
Einarbeitungszeit, sondern ich habe als Präsident der
ABDA mit meiner ganzen Energie Termine wahrgenommen,
Gespräche mit Politikern, Ministerien und Verbänden
sowie mit der Presse geführt, um den Anliegen des
Berufsstandes Gehör zu verschaffen. Auch in der Zukunft
sehe ich eine meiner Hauptaufgaben darin, mich zusammen
mit allen ABDA-Gremien zu Wort zu melden. Denn es gilt,
das gesundheitliche Wohlergehen und die bestmögliche
Versorgung des Patienten auch für die Zukunft zu
sichern, damit der Patient beziehungsweise unser Kunde
nicht zweiter Sieger wird!
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