Editorial
von Gisela Stieve,
Stellvertretende Chefredakteurin
Im politischen Dialog werden derzeit überwiegend Fragen gestellt. Wie geht es nach
der Niedersachsenwahl weiter? Macht Kohl oder zumindestens die CDU noch
einmal das Rennen? Kommt schon bald nach der Wahl im September eine neue
Gesundheitsreform? Welche Auswirkungen wird die Einführung der Europäischen
Wirtschafts- und Währungsunion haben? Werden noch mehr Ärzte unter dem
Deckmäntelchen der Qualitätszirkel aus den nicht verordneten Arzneimitteln Honig
saugen? Was bedeutet eine Weiterentwicklung der Apothekenbetriebsordnung für
die Zukunft der praktischen Pharmazie? Wie schlägt sich ab 1. Juli die geänderte
Arzneimittelpreisverordnung auf die Ertragslage der Apotheken nieder? Fragen über
Fragen.
Jeder einzelne Apotheker an der Basis sollte sich von dieser Flut nicht mitreißen
lassen, sondern sich ernsthaft mit den Fragen befassen. Nutzen Sie jetzt die
Denkpause, solange die Regierung ihre Geschäfte für diese Legislaturperiode
abwickelt und vorwiegend den Wahlkampf vorbereitet. Stecken Sie für sich, ihre
Apotheke, ihre Mitarbeiter und die Zukunft des Berufsstandes den Kurs ab.
Nutzen Sie die Chance, Konzepte auszufeilen oder auf regionaler Ebene Gespräche
mit amtierenden und potentiellen Gesundheits- und Sozialpolitikern und den anderen
Heilberufen zu führen.
Die ABDA schiebt ihr Konzept zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung nicht
wie eine verbale Kulisse über die politische Bühne in Bonn, hat kürzlich der
Sprecher der Geschäftsführung gesagt. Das Programm ist nur glaubwürdig, wenn die
Inhalte an der Basis auch umgesetzt werden und für Patienten und Kunden erfahrbar
sind. Es nützt nichts, auf hoher politischer Ebene auf die Beratungskompetenz der
Apotheker zu verweisen, wenn sie in praxi nicht erbracht wird.
Wir brauchen im Berufsstand jetzt mehr denn je den Blick fürs Wesentliche.
Verlieren wir uns nicht in Details, die morgen niemanden mehr interessieren. Die
Risiken und Nebenwirkungen der Nabelschau könnten schmerzlich sein. Lassen wir
uns von mir aus auch von Trainern und Beratern motivieren. Vergessen wir darüber
aber nicht das Kerngeschäft.
Heute wehren wir uns noch gegen Versandhandel und Wettbewerbsverzerrungen.
Morgen stehen wir auf dem Marktplatz, auf dem mit Euro gezahlt wird, übermorgen
müssen sich die Apotheker fragen lassen, was ihre fachliche Qualifikation und
pharmazeutische Leistung ausmacht.
Die Herausforderungen, so umschreibt man gerne eine ungewisse, schwer
kalkulierbare, eher düstere Perspektive, kommen nicht überraschend auf uns zu. Sie
sollten für sich persönlich auf die Fragen der Zeit Antworten finden und nicht darauf
warten, bis es andere tun.
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