Editorial
von Dr.
Hartmut Morck
PZ-Chefredakteur
Mit den drastischen Erhöhungen der Zuzahlungen bei
verordneten Arzneimitteln nach dem NOG 2 auf 9, 11 und 13
DM und der zusätzlichen Erhöhung nach Beitragsanhebung
gemäß NOG 1 muß der kritische Beobachter der
gesundheitspolitischen Szene zu dem Schluß kommen: Das
ist der erste Schritt zum Ausstieg aus der solidarischen
Gesetzlichen Krankenversicherung.
Während die Diskussion um die paritätische Finanzierung
der Gesetzlichen Krankenversicherung noch verständlich
war vor dem Hintergrund, daß nur 40 Prozent der
Versicherten Beiträge zahlen und damit die paritätische
Finanzierung der Beiträge nicht mehr mit den Zahlungen
der Leistungen korreliert, wird mit der
Zuzahlungserhöhung das Prinzip der Solidarität und
damit der Grundpfeiler der Gesetzlichen
Krankenversicherung verlassen, der über 100 Jahre die
GKV stabilisierte: Der Gesunde trägt das Risiko des
Kranken nicht mehr mit, sondern das Risiko der Krankheit
wird auf den Kranken verlagert.
Im Arzneimittelbereich sind das rund 3 Milliarden DM, die
auf der solidarischen Finanzierung ausgesteuert werden.
Über ein Viertel der verordneten Arzneimittel müssen
künftig allein vom Patienten bezahlt werden. Das wird
nicht nur Auswirkungen auf die Compliance des Patienten
haben, das wird auch Kaufkraft abschöpfen und
wirtschaftliche Auswirkungen auf Apotheken und Hersteller
haben.
Die Hoffnung, daß in der Zukunft mehr auf die
Eigenverantwortung des Patienten gesetzt werden kann und
daß sich dies auf die Selbstmedikation positiv auswirken
wird, ist nach dieser Maßnahme aus meiner Sicht nicht
mehr gerechtfertigt. Wer für seine notwendigen
Medikamente in Zukunft 5 DM mehr zahlen muß (das kann
pro Rezept 15 DM ausmachen), der wird nicht mehr bereit
sein, für die Selbstmedikation etwas auszugeben, denn
sein privates Budget würde damit überzogen. Und eines
ist sicher, der einzelne Bürger wird sparen, wenn das
Budget überzogen ist, im Gegensatz zu den Krankenkassen.
Das augenblickliche Chaos in der Bonner
Gesundheitspolitik läßt zur Zeit für die Versicherten,
die Leistungserbringer und auch für die Gesetzliche
Krankenversicherung keine Planungen für die Zukunft zu,
zumal sowohl Regierung als auch Opposition keine
praktikablen Konzepte vorlegen, die die GKV über die
Jahrtausendwende hinaus als eine auf Solidarität
aufgebaute gesellschaftliche Institution garantieren.
Es wird Zeit, daß sich alle politischen Kräfte an einen
Runden Tisch setzen, gemeinsam nach Konzepten suchen und
das Wahlkampfgetöse aus der Diskussion heraushalten. Es
gilt eine Säule der sozialen Marktwirtschaft zu
erhalten, und das wird nur im breiten Konsens möglich
sein.
© 1996 GOVI-Verlag
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