Gastkommentar
von Rainer
Vollmer
Wenn die neuen Anträge der Regierungskoalition in Bonn
zur Änderung des 2.GKV-Neuordnungsgesetzes im Bundestag
eingebracht werden, ist ein völlig neues, ein völlig
anders geartetes Gesetzeswerk entstanden. Wer hätte das
noch Ende vergangenen Jahres gedacht. Aber so kurzlebig
können Gesundheitsreformen, mit großem Elan
angekündigt, sein. Daß Ministerien und Fraktionen, der
Bundestag und der Bundesrat zwischenzeitlich sich viel
Zeit mit den Makulatur gewordenen Gesetzesvorlagen
genommen haben, ist einer der unwirtschaftlichen, aber
offensichtlich nicht zu umgehenden Begleitumstände.
Also kann von neuem parliert und angegriffen, gerechnet
und antichambriert werden. Denn auch die neuen
Vorstellungen der Koalition zeigen Zündstoff auf, obwohl
sie in ihren Wortlaut und Ausformulierung noch nicht
endgültig festliegen. Auch das ist nicht nur ein Beweis
für Hektik. Es dokumentiert gleichzeitig, daß nicht
mehr nachgelesen wird, was man kritisiert. Es braucht nur
ein Stichwort aufzutauchen, dann haben einige Betroffene
ihre festgefügte Meinung bereits verbreitet. Da ist das
Stichwort Arzneimittelbudget. Es soll nun abgeschafft und
durch Richtgrößen abgelöst werden. Genauere Inhalte
sind noch nicht bekannt. Aber schon gibt es Fronten:
Ärzte und Pharmaindustrie freuen sich, Krankenkassen
verteufeln die Absicht.
Sachstand ist: Es gibt bereits "Richtgrößen".
Zwischen Krankenkassen und Ärzteschaft wurden sie zur
Überprüfung der wirtschaftlichen Verordnungsweise der
Ärzte festgelegt. Eine solche Richtgröße"
ist die durchschnittliche Verordnung eines Arztes
innerhalb einer Fachgruppe. Wird dieser Mittelwert von
einem Arzt um bis zu 20 Prozent überschritten, kann der
Mediziner Regresse zahlen - oder nicht. Bei einem
Überschreiten zwischen 20 bis 50 Prozent muß das
Prüfgremium beweisen, daß der Arzt unwirtschaftlich
verordnet hat. Ab 50 Prozent wird das sofort angenommen,
mit entsprechenden Sanktionen.
Wer sich jetzt darüber freut, daß die Budgets fallen,
sollte ganz vorsichtig sein. Denn eines ist klar: Die
neuen Richtgrößen - und wie sie ermittelt werden - sind
erst bekannt, wenn der Antrag dazu schriftlich im
Bundestag eingebracht wird. Garantiert sehen sie nicht
mehr wie heute aus. Sie werden viel schneller zu
Regressen führen als derzeit. Hinzu kommen Irritationen
und mit Sicherheit ein neues Schwarzer-Peter-Spiel.
Gleiches fand bei der Erstellung der Budgets statt. Drei
Jahre dauerte die Auseinandersetzung zwischen allen
Beteiligten, zwischen der Krankenversicherung, der
Ärzteschaft und auch den Apothekern. Viel Zeit, viel
Kraft und letztlich auch viel Geld wurden investiert, um
Einigung zu erzielen und die unabdingbaren juristischen,
fachlichen und sachlichen Voraussetzungen zu schaffen.
Das ging bis hin zu enorm verteuernden EDV-Anlagen.
Jetzt, wo die Budgets halbwegs errechenbar sind, fällt
all das wieder weg. Vielleicht sogar zum Vorteil der
gesetzlichen Krankenversicherung, die mit Richtgrößen
einen viel schnelleren Zugriff auf die Verordnung des
einzelnen Arztes haben können? Es bleibt abzuwarten, wie
die Gestaltung der Richtgrößen festgelegt werden, wie
sie handhabbar gemacht werden und welche Auswirkungen sie
tatsächlich auf die Verordnung der Ärzte und auf die
Kassen der Krankenkassen haben. Dabei darf nicht
unberücksichtigt bleiben, wie Apotheker in
Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Denn: Wieder ist
ein Gesetz in Vorbereitung, das "offiziell" die
Apotheker nicht berührt, dennoch einen enormen direkten
Einfluß auf die Wirtschaftlichkeit und damit auf den
Apothekenstandort Deutschland ausübt.
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