| Melanie Höhn |
| 11.12.2025 13:00 Uhr |
Die vorläufige Vereinbarung muss nun sowohl vom EU-Rat als auch vom EU-Parlament gebilligt werden, bevor sie förmlich angenommen wird und mit ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft tritt. / © Adobe Stock/Papisut
Das Pharmapaket stellt eine weitreichende Reform der EU-Arzneimittelgesetzgebung dar und soll dazu beitragen einen fairen Zugang zu sicheren, wirksamen und bezahlbaren Arzneimitteln in der gesamten EU zu gewährleisten. Zudem soll der EU-Pharmasektor fairer und wettbewerbsfähiger gestaltet werden. Darüber informierte der Rat der Europäischen Union am frühen Morgen in einer Mitteilung.
Das Gesetz zielt zudem darauf ab, die Wettbewerbsfähigkeit der pharmazeutischen Industrie durch den Abbau regulatorischer Hürden und die Stärkung der Versorgungssicherheit zu verbessern, um Engpässe zu vermeiden und zu bewältigen. Die vorläufige Vereinbarung muss nun sowohl vom Rat der Europäischen Union als auch vom Europäischen Parlament gebilligt werden, bevor sie förmlich angenommen wird und mit ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft tritt. Nach der Veröffentlichung wird der überwiegende Teil der Gesetzgebung nach 24 Monaten wirksam.
Die Europapolitiker Peter Liese und Oliver Schenk (beide EVP/CDU) hatten bereits vor wenigen Tagen ihre Einschätzungen zu den anstehenden wichtigen Entscheidungen in der europäischen Gesundheitspolitik abgegeben. Nun haben sie zum Trilog-Konsens Stellung genommen: »Mit dieser Einigung stärken wir Europas Fähigkeit, Innovationen schneller und sicher zu den Patientinnen und Patienten zu bringen. Für mich ist besonders wichtig, dass wir mit der Reform nicht nur die Versorgung verbessern, sondern auch die Rahmenbedingungen für die Entwicklung und Zulassung neuer Arzneimittel modernisieren«, sagte Liese. Damit werde Europa wieder attraktiver für pharmazeutische Innovationen und es werde die Resilienz des Life-Science-Sektors erhöht, ergänzte Oliver Schenk.
Künftig sollen europaweit strengere Regeln für den gezielten Einsatz von Antibiotika gelten, um Fehlanwendungen zu vermeiden. Politisch vereinbart sind unter anderem eine grundsätzliche ärztliche Verschreibung, der Einsatz von besserer Diagnostik vor der Anwendung sowie die Einführung einer verpflichtenden Informationskarte in Antibiotikapackungen, die über einen verantwortungsvollen Umgang aufklärt. Gleichzeitig wird ein neuer Anreiz für die Entwicklung neuer Antibiotika eingeführt, so Schenk und Liese. Unternehmen, die neue Wirkstoffe entwickeln, erhalten künftig einen Gutschein (Voucher), mit dem sie die exklusive Vermarktungsdauer eines anderen Medikaments um ein Jahr verlängern können. Dadurch soll das Problem gelöst werden, dass neue Antibiotika für die Industrie unter normalen Umständen nicht wirtschaftlich interessant sind, weil sie aus guten Gründen nur sehr selten eingesetzt werden dürfen.
»Neue Antibiotika gehören in den Panzerschrank. Deswegen lassen sich damit normalerweise keine Gewinne erzielen. Sie müssen aber unbedingt auf den Markt kommen, weil wir sonst das Problem, dass Tausende Menschen an resistenten Keimen sterben, nicht bekämpfen können. Der Voucher ist ein riesiger Schritt zur Lösung dieses Problems«, erklärte Liese.
Ein weiterer zentraler Fortschritt ist die Einführung des verpflichtenden digitalen Beipackzettels. Arzneimittelinformationen sollen künftig auch elektronisch abrufbar sein. Der gedruckte Beipackzettel bleibt zunächst bestehen, kann aber perspektivisch entfallen. »Die Einführung eines elektronischen Beipackzettels halte ich für einen riesigen Fortschritt. Er erleichtert Patientinnen und Patienten den Zugang zu wichtigen Informationen, vor allem auch dann, wenn sie im Ausland sind. Im Gegensatz zum weit verbreiteten Vorurteil ist das sogar ein Vorteil für ältere Menschen. Den Beipackzettel aus Papier können viele wegen der kleinen Schrift gar nicht lesen«, kommentierte Liese.
»Wenn man einen elektronischen Beipackzettel hat, kann man sich die Schrift vergrößern und sich sogar den Beipackzettel vorlesen lassen. Ich gehe davon aus, dass der Beipackzettel aus Papier in einigen Jahren der Vergangenheit angehören wird und wir damit gleichzeitig viele Ressourcen schonen können«, erklärte er.
Es werden außerdem einige Verfahren eingeführt, um die Zulassung von innovativen Arzneimitteln in Europa deutlich zu verbessern. So zum Beispiel der sogenannte »Rolling Review«, der sich schon in der Coronapandemie bewährt habe, so Liese. Unternehmen können schon während der klinischen Prüfungen Teile der Ergebnisse bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) einreichen und damit gezielt auf Bedenken oder Vorschläge der EMA eingehen, ohne dass sie viel Zeit verlieren.
Zudem profitieren Unternehmen, die ein neues Arzneimittel auf den Markt bringen, von einer achtjährigen Datenschutzfrist. Dies bedeutet, dass sie die ausschließlichen Rechte an Daten aus präklinischen Tests und klinischen Prüfungen besitzen.
Sie genießen außerdem ein Jahr Marktschutz, also das ausschließliche Recht, ein Produkt ohne unmittelbare Konkurrenz durch Generika oder Biosimilars zu verkaufen. Dieser kann für innovative Arzneimittel, die zwei von drei Bedingungen erfüllen, um ein weiteres Jahr verlängert werden.
Außerdem gebe es laut Liese und Schenk in dem Gesetz Bestimmungen, dass Unternehmen bei absehbaren Lieferproblemen schneller die Behörden informieren müssen und die Europäische Arzneimittelagentur eine koordinierende Rolle bei der Bekämpfung von Arzneimittelknappheit übernehmen wird. »Auch dies sind wichtige Schritte, um die Arzneimittelknappheit zu bekämpfen. Einen wirklichen Durchbruch wird aber nur der ›Critical Medicines Act‹ bringen, den wir kurzfristig im Europäischen Parlament auf den Weg bringen werden. Hier ist zum Beispiel vorgesehen, dass Unternehmen, die in der EU produzieren, bei den Ausschreibungen einen deutlichen Vorzug erhalten«, kommentierten Schenk und Liese abschließend.
Um die Verfügbarkeit wichtiger Arzneimittel zu gewährleisten, soll der Artikel 56a die EU-Mitgliedstaaten ermächtigen, Unternehmen verpflichten, Arzneimittel mit regulatorischem Schutz in ausreichenden Mengen zur Deckung des Patientenbedarfs bereitzustellen.
Nach Verhandlungen wurden dem Text Schutzmaßnahmen hinzugefügt, die die Pflichten von Unternehmen und Mitgliedstaaten präzisieren und verhindern, dass Artikel 56a für Parallelhandel missbraucht wird.
Das Pharmapaket enthält zudem eine Ausnahmeregelung zum Schutz geistigen Eigentums, die sogenannte »Bolar-Ausnahme«, die es Herstellern ermöglicht, notwendigen Schritte wie Studien oder Versuche zu unternehmen, um sicherzustellen, dass Generika eines Arzneimittels unmittelbar nach Ablauf der Schutzrechte verfügbar sind. Die beiden Gesetzgeber haben den Wortlaut dieser Bestimmung präzisiert und die vom Rat vorgenommene Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Angebote für öffentliche Ausschreibungen beibehalten.
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) begrüßt, dass sich Parlament, Rat und Kommission auf eine Reform der EU-Pharmagesetzgebung geeinigt haben. »Für uns als pharmazeutische Industrie setzt die neue EU-Pharmagesetzgebung wichtige Impulse. Wenn die EU und Deutschland die Reform jetzt klug ausgestalten, stärken sie die globale Wettbewerbsfähigkeit, fördern Innovationen und schaffen einen echten Mehrwert für die Patientinnen und Patienten«, sagte Kai Joachimsen, BPI-Hauptgeschäftsführer.
Nach einer ersten Analyse erkennt der Verband mehrere positive Ansätze im regulatorischen Umfeld. Dazu zählen modernisierte Verfahren und eine erweiterte wissenschaftliche Beratung. »Neue Instrumente wie etwa Regulatory Sandboxes, beschleunigte Zulassungsprozesse und die Einführung einer elektronischen Produktinformation sind in unseren Augen innovationsfreundliche Rahmenbedingungen. Wenn wir diese neuen Verfahren mutig nutzen, können wir Innovationen schneller zu Patientinnen und Patienten bringen«, so Joachimsen weiter.
Auch Maßnahmen zur Stärkung von Forschung und Produktion bewertet der Verband positiv. Sie könnten – richtig ausgestaltet – die Versorgungssicherheit erhöhen und Europa im globalen Wettbewerb resilienter machen. Vor allem in einem volatilen geopolitischen Umfeld komme es darauf an, europäische Wertschöpfung zu stabilisieren, ergänzte Joachimsen.
Trotz einzelner Fortschritte werfe der Kompromissentwurf noch immer einige Fragen auf. Bestimmte Punkte bräuchten eine vertiefte Analyse, dies betreffe unter anderem Änderungen bei Anreizen und Schutzfristen, etwa die Reduzierung und Modulierung des Vermarktungsschutzes; neue Pflichten im Bereich Marktzugang; zusätzliche Pflichten zulasten von Herstellern beim Lieferengpassmanagement sowie höhere Anforderungen an die Umweltbewertung.
Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) zieht ein durchwachsenes Fazit. »Der politische Wille zur Einigung ist nachvollziehbar, aber der Kompromiss schwächt Europas Innovationskraft«, sagte vfa-Präsident Han Steutel. »Der Unterlagenschutz (Regulatory Data Protection) bleibt bei acht Jahren. Die Marktexklusivität (Market Protection) wird jedoch auf ein Jahr verkürzt und kann nur unter zusätzlichen Bedingungen zwei Jahre erreichen. Das macht alles komplizierter und erschwert Investitionsentscheidungen. Geboten wäre eigentlich ein mutiges Signal in die Welt wie die Verlängerung der Schutzfristen.«
Die Reform enthalte aus Sicht des vfa auch wichtige Modernisierungsschritte. Dazu gehören kürzere Verfahren bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur und die Einführung einer sogenannten »Regulatory Sandbox«. Der Übergang zu elektronischen Produktinformationen modernisiert laut Verbans die Regulierung und bringt »dringend benötigte Flexibilität«.
Das neue modulare Anreizsystem koppele Schutzfristen künftig an Bedingungen wie die EU-weite Verfügbarkeit, die Generierung von Evidenz oder die Versorgung unerfüllten medizinischen Bedarfs, so der Verband. Viele dieser Kriterien würden teilweise außerhalb der Steuerungsmöglichkeiten der Unternehmen liegen. Dies erhöhe die Komplexität und das Risiko und schwäche die Attraktivität des europäischen Standortes.