Dramatische Vorfälle nach Onlinekäufen |
Alexander Müller |
04.07.2025 14:32 Uhr |
© PZ/Alois Müller
Im Koalitionsvertrag von Union und SPD aus dem Jahr 2018 steht es schwarz auf weiß: »Um die Apotheken vor Ort zu stärken, setzen wir uns für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein.« Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ging das Thema jedoch nicht an – auch wegen juristischer Bedenken aus dem SPD-geführten Justizministerium.
Im aktuellen Koalitionsvertrag taucht das RxVV als Vorhaben gar nicht mehr auf, obwohl das Apothekenkapitel diesmal ziemlich umfangreich ist. Schamim Eckert, seit Januar Vizepräsidentin der Landesapothekerkammer Hessen, findet das Thema aktueller denn je. Schließlich könnte der Bundesgerichtshof (BGH) am 17. Juli ein folgenschweres Urteil über die Preisbindung sprechen und damit den Versandhändlern weiter den Weg ebnen.
Vor allem aber mit Blick auf die Arzneimittelsicherheit will Eckert den Rx-Versandhandel verboten wissen. Einen entsprechenden Antrag zum Deutschen Apothekertag (DAT) bereitet die Landesapothekerkammer Hessen (LAK) vor. Bei der ABDA-Mitgliederversammlung am Dienstag führte die Kammervize schon einmal eindringlich aus, warum aus ihrer Sicht die Integrität der Arzneimittelversorgung auf dem Spiel steht.
Eckert nimmt einen »schleichenden Kontrollverlust« wahr. Mit wenigen Klicks ließen sich heute Medikamente wie Tilidin, Cannabis oder Ozempic bestellen, »über Online-Plattformen ohne Beratung, ohne Kontrolle, ohne Rücksicht auf Risiken oder Menschenleben«.
Eckert schilderte in der ABDA-Mitgliederversammlung den Fall eines 16-jährigen anorektischen Mädchens mit einem BMI von 16, die sich online Ozempic bestellt hatte und in der Notaufnahme gelandet war. In einem anderen Fall habe ein 13-Jähriger sich einen Codeinsaft zur Partydroge gemixt – bestellt im Internet, geliefert an die Packstation. Die Folge: Reanimation, künstliches Koma, Intensivstation. »Das sind keine Einzelfälle. Das ist ein Systemversagen«, so Eckert.
Die Leidtragenden seien die Patientinnen und Patienten. Während die große Mehrheit der EU-Staaten den Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel verbiete, sei in Deutschland die Verantwortungskette zwischen Arzt, Apotheker und Patient durchbrochen und durch eine anonyme Lieferkette ersetzt. »Das ist kein Fortschritt. Das ist ein Rückschritt. Und es ist gefährlich«, so Eckert.
Sie fordere ein Rx-Versandverbot nicht aus Eigennutz, sondern aus Verantwortung. Die Deregulierung des Marktes in den USA habe zur Opioidkrise geführt mit Tausenden Toten und Millionen Abhängigen. Deshalb will Eckert »die rote Linie ziehen« und den Rx-Versandhandel wieder verbieten.
Inhaltlich gab es bei der ABDA-MV keinen Widerspruch zu Eckerts Ausführungen. Juristisch dürfte es um die Forderung allerdings nicht besonders gut stehen, wie die Rechtsexperten wissen. Denn für ein Verbot des vor mehr als 20 Jahren zugelassenen Versandhandels müsste Deutschland nach EU-Recht stichhaltige Argumente vorlegen. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darf ein Verbot nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung eines legitimen Ziels erforderlich ist: Es muss geeignet sein, das angestrebte Ziel zu erreichen, es darf kein milderes, gleich geeignetes Mittel geben (Erforderlichkeit) und es muss angemessen sein im Verhältnis zum verfolgten Zweck.
Wenn der BGH in der mündlichen Verhandlung schon Zweifel an der Begründetheit der zur Preisbindung gegenüber ausländischen Versendern geäußert hat, wäre ein komplettes Versandverbot ungleich schwerer durchzusetzen, so das Argument. Immerhin hat sich die Koalition vorgenommen, die Auflagen für Versender zu verschärfen, damit diese unter gleichen Bedingungen mit den Apotheken vor Ort konkurrieren müssen. Allerdings besteht dabei das Problem der Kontrolle und Sanktion von Verstößen fort, weil sich niemand so richtig für die großen »Holland-Versender« zuständig fühlt.
Gegenüber der Politik will sich die ABDA zunächst auf die dringend notwendige wirtschaftliche Soforthilfe fokussieren sowie auf die Weiterentwicklung des Berufsstandes und die Apotheke der Zukunft. Vom Tisch ist das Thema RxVV aber nicht: Beim Deutschen Apothekertag (DAT) vom 16. bis 19. September in Düsseldorf können die Delegierten erneut darüber diskutieren, wenn die LAK Hessen ihren Antrag einbringt.