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Datum(61) Montag, der 20.10.2025, 00:05 Uhr
IDtmn0005 4 vm 861 dpa-tmn 0036
BetreffGesundheit/Deutschland/Psychologie/BRCMJ/tmn1220/educate me/(KORR-Bericht - Z: 6.440) Hochsensibel - wie Betroffene im Alltag ihre Stärke finden Von Elena Hartmann, dpa (Mit 2 Bildern tmn1220 vom 20.10.2025)
Text«Hochsensibel» ist ein Begriff, der immer häufiger fällt. Aber was
bedeutet das? Wie Hochsensibilität entsteht, was Betroffenen hilft
mit intensiven Eindrücken umzugehen - und wie sie sie nutzen.
Berlin/Guildford (dpa/tmn) - Wer sehr sensibel ist, stößt oft auf
Vorurteile, denn Sensibilität gilt oftmals noch als Schwäche.
Begriffe wie «Sensibelchen», «Mimose» oder «Heulsuse» sind nicht nur
verletzend, sondern spiegeln auch nicht das wider, was
Hochsensibilität bedeutet.
Hochsensibilität kann viel mehr sein: Sie kann im Alltag zwar
belastend sein, eröffnet Betroffenen aber zugleich besondere Stärken
- etwa ein feines Gespür für andere, ausgeprägte Intuition und große
Kreativität, so die Psychologin, Psychotherapeutin und Life-Coach
Miriam Junge.
Wichtig ist: «Es handelt sich dabei nicht um eine Diagnose oder
Störung, sondern um ein Persönlichkeitsmerkmal», so Junge. Menschen
mit dieser Eigenschaft nehmen Reize, Stimmungen und Details schlicht
intensiver wahr als andere. Doch warum ist das so?
Wie kommt es, dass jemand hochsensibel ist?
Sensibilität ist eine Eigenschaft, die jeder Mensch besitzt - sie
beschreibt die Fähigkeit, die Umgebung wahrzunehmen und kognitiv zu
verarbeiten, erklärt der Psychologe und Professor für
Entwicklungspsychologie an der University of Surrey Michael Pluess.
«Das ist entscheidend, weil wir unsere Umgebung wahrnehmen müssen,
damit wir uns anpassen können.»
Allerdings reagieren nicht alle gleich stark: Rund 20 bis 30 Prozent
der Menschen nehmen Reize intensiver wahr als andere. Bei ihnen
spricht man von Hochsensibilität.
Laut Junge und Pluess kann Hochsensibilität sowohl genetisch, also
angeboren, als auch durch Erfahrungen geprägt sein. Pluess verweist
auf eine große Zwillingsstudie seines Teams: Etwa die Hälfte der
Unterschiede in der Sensitivität ließen sich durch genetische
Merkmale erklären, die andere Hälfte durch Umwelteinflüsse.
Hochsensibilität entsteht also aus einem Zusammenspiel von
biologischer Veranlagung und Lebenserfahrungen.
Warum Hochsensibilität belastend sein kann
Hochsensible Menschen nehmen Details intensiver wahrnehmen und
insgesamt eine erhöhte emotionale Reaktivität haben - im Positiven
wie im Negativen, sagt Pluess. Sie zeigen typische Merkmale wie
schnelle Reizüberflutung, starke emotionale Reaktionen auf Eindrücke,
ausgeprägte Empathie und ein hohes Maß an Reflexion. Junge:
«Hochsensible Menschen bemerken feine Nuancen in ihrem Umfeld, etwa
Stimmungen oder Störgeräusche, die andere kaum wahrnehmen.»
Diese intensive Wahrnehmung kann im Alltag anstrengend sein.
Hochsensible fühlen sich laut Junge schneller erschöpft und brauchen
mehr Rückzug. Dauerhafter Lärm, Konflikte oder ein hohes
Arbeitspensum sind für sie besonders belastend. Viele empfinden sich
zudem selbst als «zu empfindlich» und zweifeln an sich - was «Stress,
Schlafprobleme oder emotionale Erschöpfung nach sich ziehen kann».
Laut Pluess gibt es außerdem Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen
Sensibilität und psychischen Problemen wie Depressionen oder
Angststörungen. Das bedeutet aber nicht, dass jeder hochsensible
Mensch betroffen ist. Vielmehr haben Menschen mit hoher Sensitivität
ein erhöhtes Risiko, solche Probleme zu entwickeln - vor allem dann,
wenn sie in belastenden oder herausfordernden Umgebungen leben, so
Pluess.
Die positiven Seiten der Hochsensibilität
Gleichzeitig bringt Hochsensibilität viele positive Eigenschaften mit
sich: «Diese Menschen haben generell eine erhöhte Empathie. Sie
können sich gut in andere hineinfühlen», erklärt Pluess. Dadurch
entwickeln sie laut Junge ein tiefes Verständnis für Mitmenschen und
erfassen komplexe Zusammenhänge schnell. In Beziehungen, Teams oder
kreativen Berufen kann diese Sensibilität eine große Stärke sein.
Zudem reagieren Hochsensible auch besonders auf positive Reize - etwa
Musik oder Natur. Und weil sie laut Pluess über große Fragen oder
eigene Erfahrungen länger nachdenken, können sie die oft gründlicher
verarbeiten.
Forschungen zeigen zudem eine erhöhte Kreativität und Offenheit bei
hochsensiblen Menschen, die laut Pluess auch häufig mit einer
tieferen Verarbeitung und Reflexion zusammenhängen. Und eben damit
dass sie Details schneller wahrnehmen, mehr Informationen aus ihrer
Umgebung erfassen und dadurch oft eine höhere soziale Kompetenz sowie
kreative Lösungsansätze entwickeln.
Weniger Überforderung im Alltag: So klappt's
Trotz vieler Stärken profitieren Hochsensible im Alltag von
bestimmten Strategien: Routinen und feste Grenzen verringern
Reizüberflutung. Pausen, Rückzugsorte und Entspannungstechniken wie
Achtsamkeit oder Atemübungen können laut Junge ebenfalls helfen. Auch
bewusster Medienkonsum, ausreichend Schlaf und Bewegung stabilisieren
das Nervensystem. «Wichtig ist, die eigene Sensibilität nicht zu
bekämpfen, sondern als Teil der Persönlichkeit zu akzeptieren», so
Junge.
Ebenso entscheidend ist das Umfeld - Überstimulation und
Überforderung sollten möglichst vermieden werden: «Das heißt, dass
man vielleicht von zu Hause arbeitet, anstatt in einem Großraumbüro -
oder dass man schaut, dass man oft in der Natur ist oder mit Menschen
zusammen ist, die einem guttun», so Pluess.
Auch die Fähigkeit, mit starken oder negativen Emotionen konstruktiv
umzugehen, ist laut Pluess wichtig. Wenn die Belastung zu groß wird,
kann Unterstützung von außen helfen: «Unsere Erfahrungen zeigen, dass
hochsensible Menschen besonders gut auf Psychotherapie ansprechen.»
Schwierigkeiten entstünden oft durch aktuellen Stress oder belastende
Kindheitserfahrungen - beides lasse sich in einer Therapie gut
aufarbeiten.
Wichtig sei aber: Nicht jeder Hochsensible brauche Therapie, so
Pluess. Erst wenn psychische Probleme auftreten, kann professionelle
Unterstützung sinnvoll sein. Auch Junge empfiehlt in solchen Fällen
Coaching, Therapie oder Selbsthilfegruppen.
Für Angehörige: Rücksichtnahme ist das A&O
«Angehörige können viel bewirken, indem sie Verständnis zeigen,
Rückzugsmöglichkeiten respektieren und auf eine klare, wertschätzende
Kommunikation achten», sagt Junge. Hilfreich sei es auch, gemeinsam
abzusprechen, was in Stresssituationen guttut - etwa Ruhe, ein
Spaziergang oder ein offenes Ohr. Entscheidend sei, dass hochsensible
Menschen sich ernst genommen fühlen, denn das allein könne bereits
entlasten.
Auch Pluess betont, wie wichtig es ist, zu verstehen, dass Menschen
einfach unterschiedlich sensibel sind. Während die einen stressige
Situationen robuster wegstecken, reagieren Hochsensible empfindsamer
- und damit auch verletzlicher. «Umso wichtiger ist es,
rücksichtsvoll zu sein und sich bewusst zu machen, dass Worte und
Verhalten einen stärkeren Einfluss auf sie haben können.»
# Notizblock
## Redaktionelle Hinweise
- Zu diesem Text finden Sie Bilder mit folgendem Titel im dpa
Bildangebot:
- Mann schaut zu einer animierten Erdkugel
- Passanten in einer Fußgängerzone in Köln
* * * *
Die folgenden Informationen sind nicht zur Veröffentlichung bestimmt
## Ansprechpartner
- Michael Pluess, Professor für Entwicklungspsychologie an der
University of Surrey, m.pluess@surrey.ac.uk, +441483689762
- Miriam Junge, Dipl.-Psychologin und Psychotherapeutin,
M.Junge@miriamjunge.com
## Kontakte
- Autor/in: Elena Hartmann (Köln), 017630300528,
elena.hartmann@dpa-info.com
- Redaktion: Fotoredaktion: +49 30 2852-32897,
foto.themendienst@dpa.com, Bettina Lüke (Berlin), +49 (30) 2852-0,
Lueke.Bettina@dpa.com
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