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Datum(145) Mittwoch, der 03.09.2025, 05:00 Uhr
IDbdt0039 4 vm 657 dpa 0175
BetreffKriminalität/Türkei/(KORR-Bericht) Doktortitel auf Bestellung - Skandal um gefälschte Diplome in Türkei Von Mirjam Schmitt, dpa (Foto Illustration)
TextGefälschte Abschlüsse, manipulierte Datenbanken: In der Türkei
erschüttert ein Betrugsfall das Vertrauen in Institutionen. Wie weit
reicht der Skandal?
Istanbul (dpa) - Ein Staudammprojekt betreuen ohne Abschluss als
Bauingenieur oder ein Teppichwäscher, der als Psychologe praktiziert
- was absurd klingt, wurde in der Türkei offenbar zur Realität.
Zahlreiche Dokumente, darunter nach offiziellen Angaben
Universitätsabschlüsse und Führerscheine wurden gefälscht und in
Umlauf gebracht. Der Skandal erschüttert das Land seit Wochen - das
Ausmaß ist bislang unklar.
Eine Betrügerbande verschaffte sich nach Angaben des
Justizministeriums Zugangscodes von hochrangigen Beamten und konnte
sich so Zugriff zu staatlichen Datenbanken verschaffen und diese
manipulieren. Betroffen sind unter anderem die Kommunikationsbehörde
BTK, das Bildungsministerium und zahlreiche Universitäten. Medien
berichten von Hunderten gefälschten Diplomen, die im Umlauf sind. Die
Regierung spricht lediglich von rund 60 und mehr als 100 gefälschten
Führerscheinen. 
Nur die Spitze des Eisbergs?
Justizminister Yilmaz Tunc erklärte, die Staatsanwaltschaft habe
Anklage gegen 199 mutmaßliche Betrüger erhoben. Ihnen wird der
staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge etwa Fälschung
elektronischer Zertifikate, Manipulation von Daten und unrechtmäßiger
Zugriff auf personenbezogene Informationen vorgeworfen. Im September
sollen die Fälle vor Gericht verhandelt werden. 
Medienberichten zufolge gab es schon Ende 2024 die ersten Beschwerden
an einer Universität in Ankara, darauf folgten Ermittlungen. «Die
kriminelle Organisation wurde zerschlagen und ihre Mitglieder
verhaftet», erklärte Innenminister Ali Yerlikaya Anfang August. Doch
Beobachter gehen davon aus, dass dies nur die Spitze des Eisbergs
ist.
Der Investigativjournalist Murat Agirel kritisierte, die Regierung
wolle eine größere Lawine verhindern, aus Angst, dass auch wichtige
Politiker involviert sein könnten. So geriet der stellvertretende
Verkehrsminister Ömer Fatih Sayan in die Schlagzeilen, der zehn
Abschlüsse und zwei Doktortitel vorzuweisen hat. Der wies Zweifel
daran zurück. Er habe sein ganzes Leben lang studiert, verteidigte
sich Sayan und werde sich nach wie vor weiterbilden.
Betrüger verwenden Daten von Erdbebenopfern
Der Vorfall sorgt für Spott - aber auch für Entsetzen und Frust. So
wurde bekannt, dass die Täter die Daten von beim Erdbeben 2023
verstorbenen Rechtsanwälten gelöscht und für ihre Kunden verwendet
haben. Der Informatikexperte und Professor an der Marmara-Universität
in Istanbul, Murat Kirik, bezeichnet das Ganze als Skandal. Er gehe
davon aus, dass die Betrüger sehr umfassend und organisiert
vorgegangen seien, sagte er dem Sender Habertürk.
Veysel Ulusoy ehemaliger Vorsitzender des Instituts für
Sozialwissenschaften an der Yeditepe Universität in Istanbul sagte
der Deutschen Presse-Agentur, das Ausmaß gehe seiner Ansicht nach
weit über das Bekannte hinaus. Schon vor Jahren habe er als Direktor
seines Instituts ähnliche Probleme erlebt, der Hochschulrat habe aber
auf seinen Hinweis hin nicht reagiert. «Das Problem ist weitaus
komplexer, mit Politik und Institutionen verflochten und erstreckt
sich auf Missbrauch bei Beförderungen, Ernennungen und sogar
internationalen Transfers von Studenten», so Ulusoy, der inzwischen
an der Harvard-Universität lehrt.
Bestellung per WhatsApp
Wie der Sender Halk TV berichtete, war es nicht schwer, die
gefälschten Dokumente zu erwerben. So konnte man unkompliziert über
WhatsApp ein Diplom bestellen, über soziale Medien sei Werbung
gemacht worden. Je nach Dokument verlangten die Betrüger demnach
tausende Euro. Die gefälschten Dokumente wurden im sogenannten
elektronischen Staat gespeichert, in dem die Türken ihre gesamten
Behördengänge erledigen können.
Ein Unternehmer, dessen Firma unter anderem vier Staudämme in der
Türkei gebaut hat, wird nach Angaben des regierungskritischen Mediums
Serbestiyet beschuldigt, ein gefälschtes Bauingenieursdiplom an der
renommierten Technischen Universität Yildiz in Istanbul gekauft zu
haben. Er sagte demnach aus, er habe nicht gewusst, dass ein solcher
Abschluss im System hochgeladen wurde. Ein Teppichwäscher, der als
Psychologe praktizierte, sagte Medien, er habe ein Psychologiestudium
im Ausland absolviert und lediglich eine Firma beauftragt, um das
Diplom in der Türkei anerkennen zu lassen. Diese Firma habe aber ohne
seine Zustimmung ein neues Diplom von einer türkischen Universität
erstellt.
Der Skandal hat trotz der Ermittlungen das Vertrauen in den Staat und
die Institutionen in der Türkei weiter untergraben. Seit dem
inhaftierten Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu, ein Rivale des
türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, das Universitätsdiplom
entzogen wurde, fragen sich viele, welchen Wert ihre Abschlüsse
überhaupt noch haben. Im Juli zerriss ein Absolvent der renommierten
Bosporus Universität in Istanbul aus Protest sein Abschlusszeugnis
mit den Worten: «Dieses Diplom ist ungültig.» Er wurde dafür
zwischenzeitlich festgenommen.
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- Ein Skandal um gefälschte Diplome erschüttert die Türkei
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- Autor/in: Mirjam Schmitt, Ergin Hava; Linda Say (Istanbul)
00905313656492, schmitt.mirjam@dpa.com
- Redaktion: Daniel Mollitor (Berlin) 030 285232242,
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