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Datum(174) Dienstag, der 02.09.2025, 07:00 Uhr
IDbdt0055 4 vm 766 dpa 0244
BetreffEssen & Trinken/Tourismus/Kunst/Malerei/Leute/Gesellschaft/Geschichte/(KORR-Bericht) Wie ein Maler zum Speisekarten-Klassiker wurde Von Christoph Sator, dpa (Foto Archiv)
TextHauchdünn geschnittenes Rindfleisch, Salz, Pfeffer, ein bisschen
Mayonnaise darüber - basta. So serviert es jeder bessere Italiener.
Nur stimmt die Geschichte dazu nicht ganz. Angefangen beim Namen.
Venedig (dpa) - Vittorio Carpaccio wäre längst in Vergessenheit
geraten, ebenso wie Italiens Königin Margherita und John Montagu, der
vierte Earl of Sandwich. Doch mit seinem Namen ist der
Renaissance-Maler aus Venedig ein halbes Jahrtausend nach seinem Tod
noch immer in aller Munde. Und das ist durchaus wörtlich gemeint, so
wie bei den beiden anderen auch: Allesamt sind sie Namensgeber für
sehr bekannte Speisen. 
Was die Königin (1851-1926) für eine Pizza und der Earl (1718-1792)
für ein belegtes Brot, ist der Maler (1465-1525/26) für eine
Vorspeise aus hauchdünn geschnittenen Scheiben rohen Rindfleischs. In
diesem Herbst wird das - nicht der - Carpaccio 75 Jahre alt. Im
Unterschied zu Margherita und Sandwich hatte er mit dem Gericht, das
seinen Namen trägt, zu Lebzeiten allerdings nicht das Geringste zu
tun.
Das Originalrezept: Ohne Trüffel, Rucola oder Parmesan
Entwickelt wurde Carpaccio erst 1950 in «Harry's Bar» in Venedig,
einer der bekanntesten Bars der Welt, die damals noch von echter
Prominenz wie Ernest Hemingway und Orson Welles besucht wurde. 
Bargründer Giuseppe Cipriani, Vater des heutigen Besitzers, soll es
für eine venezianische Stammkundin kreiert haben, die Gräfin Amalia
Nani Mocenigo, der die Ärzte eine Diät ohne gegartes oder gebratenes
Fleisch empfohlen hatten. 
Das Originalrezept ist äußerst schlicht: eiskaltes, aber nicht
gefrorenes Rindfleisch aus der Lende in hauchdünne Scheiben
schneiden, so dass man fast hindurchsehen kann. Salzen, pfeffern,
nochmals kalt stellen, warten und warten. 
Serviert wird mit einer Mayonnaise aus Olivenöl, Eigelb,
Weißweinessig, Senf, Zitronensaft und Worcestersoße, die mit feinem
Strich darüber getupft wird.
Auf die Idee, das Gericht «Carpaccio» zu nennen, kam Cipriani, weil
in Venedig damals gerade eine Ausstellung über den einheimischen
Künstler lief. 
Aus den Wimmelbildern, die der Maler im 16. und 17. Jahrhundert
anfertigte, sticht immer wieder ein kräftiges Rot hervor, das man
fast Blut- oder Fleischrot nennen könnte. 
Zwei Jahre zuvor hatte Cipriani bereits einen Cocktail nach einem
Renaissance-Maler bekannt: den Bellini, nach dem Venezianer Giovanni
Bellini, heute ebenfalls ein Klassiker. 
Carpaccio auch aus Fisch, Pilzen - und Ananas
Das ist die Geschichte des Carpaccios, wie sie in Venedig erzählt
wird und auch anderswo: Der Teller mit rohem Fleisch findet sich
heute in vielen Ländern der Welt auf der Speisekarte. 
In Deutschland macht das Carpaccio vielfach den Unterschied zwischen
Pizzerien, bei denen es auch Pasta gibt, und besseren Italienern.
Meist wird es als Vorspeise gegessen. Nicht nur mit Fleisch:
Carpaccio gibt es inzwischen auch von Lachs, Thunfisch,
Jakobsmuscheln, Trüffeln, Pilzen, Tomaten, selbst Erdbeeren und
Ananas.
Allerdings gibt es unter Experten wie dem Küchen-Historiker Alberto
Grandi doch einige Zweifel, ob Cipriani, der in der Vermarktung
mindestens ebenso gut wahr wie in Küche und Bar, nicht ein bisschen
etwas dazu erfunden hat. 
So wird vermutet, dass die Gräfin weniger auf Empfehlung der Ärzte
rohes Fleisch haben wollte, sondern eher, weil dies damals als Garant
für eine gesunde Gesichtsfarbe galt, gegen «Blutarmut», wie das hieß.
Historiker: Erfindung nicht allein in Venedig
Sicher ist jedenfalls, dass lange vor 1950 auch anderswo als in
Venedig rohes Fleisch in dünnen Scheiben serviert wurde. Grandi, der
mit seinem Buch «Mythos Nationalgericht» über Etikettenschwindel in
Italiens Küche einen internationalen Bestseller landete, sagt der
Deutschen Presse-Agentur: «Natürlich gab Cipriani dem Rezept seinen
Namen. Aber die Erfindung ist nicht allein ihm zuzuschreiben.» Im
Italienischen heißt es dazu: «Se non è vero, è ben trovato.» Auf
Deutsch: Wenn es nicht wahr ist, dann ist es gut erfunden.
Tatsächlich wird im Piemont, weiter westlich und südlich, schon seit
dem 19. Jahrhundert Carne crudo all'albanese gegessen, rohes Fleisch
nach Art der Stadt Alba: Rindfleisch, fein geschnitten oder gehackt,
angemacht mit Zitrone, Olivenöl, Salz und Pfeffer. 
In Frankreich kennt man das Steak Tartare ähnlich lang, manchmal auch
in feinen Scheiben. In Skandinavien gibt es neben rohem Lachs
(gravlax) ganz dünn auch rohes Fleisch (gravet kött). In Japan aß man
schon vor Jahrhunderten Basashi: rohes Pferdefleisch, millimeterdick
nur.
Preis pro Portion: 60 Euro
Von solchem Wissen lassen sie sich aber in «Harry's Bar» nicht
abhalten, Carpaccio als ihren Klassiker zu feiern - und zwar nur in
der Originalversion. Davon, Trüffel, Parmesan oder Rucola
darüberzustreuen (oder gar alles zusammen), wollen sie nichts
wissen. 
Es gibt dazu nur ein Schüsselchen mit Eisbergsalat und fein
geschnittenen Radieschen und Karotten, betupft mit Olivenöl. Der
Preis für das Nicht-einmal-hundert-Gramm-Gericht liegt inzwischen bei
60 Euro. 
Trotzdem gehört das Carpaccio in «Harry's Bar» nach wie vor zu den
meistbestellten Speisen. Den Namen kennen auch die vielen
amerikanischen Touristen, die einen Großteil der Kundschaft
ausmachen. 
Wobei die Bezeichnung eigentlich auch nur die halbe Wahrheit ist:
Carpaccio ist ein Künstlername. Eigentlich müsste das Gericht
Scarpazo heißen. Der venezianische Maler kam aus einer
Einwandererfamilie aus Albanien. Getauft wurde er als Vittorio
Scarpazo.
# Notizblock
## Redaktionelle Hinweise
- Der genaue Termin, wann Carpaccio 1950 zum ersten Mal auf der
Speisekarte stand, ist nicht mehr bekannt.
- Zu diesem Text finden Sie Bilder mit folgendem Titel im dpa
Bildangebot:
- "Harry's Bar"
## Internet
- [Harry's Bar](https://dpaq.de/qamxk9L)
## Orte
- [Harry's Bar](Calle Vallaresso 1323, 30124 Venezia, Italien)
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Die folgenden Informationen sind nicht zur Veröffentlichung bestimmt
## Kontakte
- Autor/in: Christoph Sator (Venedig), +39 06 58 81 379,
sator.christoph@dpa.com
- Redaktion: Gregor Tholl (Berlin) +49 30 2852-32292,
panorama@dpa.com, Foto: Newsdesk, +49 30 2852 31515, foto@dpa.com
dpa cs xx a3 gth
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