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Datum(58) Freitag, der 05.09.2025, 05:10 Uhr
IDbdt0045 4 vm 972 dpa 0181
BetreffNatur/Forstwirtschaft/Wissenschaft/Klima/Nordrhein-Westfalen/(KORR-Bericht) Samenernte in 40 Meter Höhe - wie der Wald der Zukunft entsteht Von Volker Danisch (Text) und Guido Kirchner (Fotos), dpa (Foto Produktion)
TextDie Fichte hat es an vielen Standorten schwer oder sie ist schon
abgestorben. Andere Baumarten kommen mit Trockenphasen besser
zurecht. Deshalb wird Samen gesammelt. Auch in schwindelerregender
Höhe.
Warburg (dpa) - Wer an den Samen der Tanne herankommen will, der muss
in die Baumwipfel bis ganz nach oben steigen. Wie Alexander Wieners
und Marvin Eichelmann. Die jungen Forstwirte sind als Zapfenpflücker
im Eggegebirge im Einsatz, ganz im Osten von Nordrhein-Westfalen. Bei
ihrer Tätigkeit geht es darum, die Grundlage für den Wald der Zukunft
zu ernten. Während die ungeöffneten Tannenzapfen in diesem Waldstück
mühsam in schwindelerregender Höhe eingesackt werden müssen, ist es
andernorts leichter, Samen zu sammeln - etwa im Spessart in Bayern,
wo das Eichelsammeln eine lange Tradition hat.
Das Zapfenpflücken ist eine Wissenschaft für sich. Alexander Wieners
steht am Fuß einer Tanne. Erst einmal muss ein Kletterseil hoch im
Baum festgemacht werden. Mit einer Art XXL-Katapult peilt Wieners die
Krone des mächtigen Baumes direkt vor ihm an. Sein Ziel ist ein Ast,
der sein Gewicht tragen kann. «Der muss grün sein, der muss fix sein,
dem muss man vertrauen.»
Im besten Fall schießt Wieners zunächst eine dünne Schnur über
mehrere Äste nah am Stamm. Wenn das klappt und das Gewicht an der
Schnur wieder am Boden landet, wird daran ein dickes rotes
Kletterseil nachgezogen und unten festgemacht. Es kann eine Stunde
dauern, bis alles passt. Auch der erste Schuss kann ausreichen. Bei
diesem Baum aber nicht. 
Proviant und Wasser müssen mit
An der Tanne nebenan macht sich sein Teampartner Eichelmann
unterdessen für den Aufstieg fertig. Sein Bauchgurt ist stark
beladen. Um eine ringförmige Halterung stülpt er den Erntesack, damit
er die Zapfen leicht einwerfen kann. Proviant und Wasser müssen mit.
Wenn die Tannen eng genug stehen, kann er mit einem Wurfhaken an
einem zweiten Seil direkt von einer Krone zur nächsten wechseln. Mit
dem selbst geschnitzten langen Pflückstab, der am Ende einen Haken
aufweist, zieht der 24-Jährige Äste mit den Zapfen an sich heran. 
Steigeisen gehören nicht zur Ausrüstung, denn sie könnten den schönen
Baum beschädigen. Das Aufstiegsgerät, Steigklemmen und Sicherungen am
Seil machen es möglich, dass die Zapfenpflücker im Stil von
Bergsteigern wie bei einem Treppenaufstieg an Höhe gewinnen.
Eichelmann ist schnell oben. Als er sich durch die unteren toten Äste
vorarbeitet, rieseln alte braune Nadeln wie Schnee herab. Dann ist er
in der Krone verschwunden. Es geht weiter nach oben zur Spitze  -
dort stehen die begehrten Tannenzapfen senkrecht auf den Ästen.
In der Ruhe liegt die Kraft
«Das ist nichts für schwache Nerven», betont Forstamtsleiter Roland
Schockemöhle vom Regionalforstamt Hochstift. «Die sind 35 oder 40
Meter hoch, die Bäume. Und da oben müssen die Leute dann stehen, in
dieser schwankenden Krone und da die Zapfen runterpflücken. Ich habe
riesengroßen Respekt vor unseren Kollegen, die das hier
unerschrocken, aber mit ganz viel Ruhe und Gelassenheit einfach
machen.»
Drei Zapfenpflücker und ein Mann als «Bodenpersonal» bilden an diesem
Tag das Team in dem Waldstück im Eggegebirge. Im Notfall kann eine
Leitstelle per Knopfdruck informiert werden. Vor der Aktion wird
geprüft, ob sich die aufwendige Aktion dort überhaupt lohnt. 
Es dauert nicht lange nach dem Aufstieg und der erste gefüllte Sack
mit den ersten Hunderten Tannenzapfen rauscht nach einer Vorwarnung
zu Boden. Marius Zimmermann, Sachgebietsleiter Forstgenetik des
Zentrums für Wald und Holzwirtschaft, schätzt das Potenzial der
Samenernte in diesem Waldstück auf fünf bis sechs Millionen neuer
Tannenbäumchen. 
Viele Bäume stellen eine hohe genetische Vielfalt sicher. Die
Zapfenernte muss nachreifen, wird getrocknet, aufgearbeitet, bis das
Samenkorn am Ende bereitsteht für Forstbaumschulen, Waldbesitzer und
den Einsatz im Landesbetrieb Wald und Holz NRW selbst.
Die Weißtannen in diesem Waldstück sind bereits etwa 130 Jahre alt.
«Wie die hier hingekommen sind, wissen wir nicht. Vermutlich hat
einer der zahlreichen Vorgänger im Schwarzwald Urlaub gemacht und ein
paar Tannenzapfen mitgebracht», meint Schockemöhle. 
Die Samenernte hier und anderswo sei ein weiterer Schritt auf dem Weg
zum Wald der Zukunft. «Jetzt machen wir uns dran, die Wälder von
morgen zu begründen und zu gestalten, und da ist die Weißtanne eben
einer - nicht der - einer der Bausteine», erklärt er. Die Tanne könne
mit mächtigen Wurzeln Stürmen und Trockenheit besser trotzen als die
Fichte.
 
In den buchengeprägten Mischwäldern der Region war vor 2018 im
Schnitt jeder vierte Baum eine Fichte. Jetzt sind es nur noch wenige
Prozent. So liegt auch zwischen den Tannen, in denen gerade die
Zapfenpflücker arbeiten, eine tote Fichte, an der sich Pilze
ansiedeln. 
«Wir werden künftig noch stärker auf Mischen setzen, Laubholz mit
Nadelholz, heimische Bäume mit Bäumen aus anderen Regionen», sagt
Schockemöhle. Mal Bäume, die aus herabfallendem Samen entstanden
sind, mal Pflanzungen, mal Baumnachwuchs, der gesät wurde. «Wir
mischen so gut es geht, um das Risiko zu streuen», erklärt er. 
Waldbau-Professor Sebastian Hein von der Hochschule für
Forstwirtschaft Rottenburg in Baden-Württemberg wirbt für Vielfalt in
mehrfacher Hinsicht. «Wer streut, der rutscht nicht. Wer Vielfalt
hat, wird ein geringeres Risiko haben», verdeutlicht er. Der Aufbau
großer Fichten- und Kiefernwälder habe bereits im 19. Jahrhundert mit
der Industrialisierung begonnen. Solche Nadelwälder seien anfälliger
als Mischwälder für Stürme, Schädlinge, Krankheiten und die Folgen
des Klimawandels. 
«Es werden andere Wälder sein»
Deshalb gehe es um einen schrittweisen Umbau: Vielfalt bei den
Baumarten, bei der Dimension der Bäume und bei den
Bewirtschaftungskonzepten. Neben dichten kühlen Waldflächen könnten
lichte warme Wälder Habitate für manche wärmeliebenden Insekten wie
Schmetterlinge sein. Angesichts längerer Trockenphasen kämen neben
einheimischen Bäume potenziell auch etwa Eichenarten aus dem
Mittelmeerraum für den Wald der Zukunft in Deutschland in Betracht.
«Es wird auch in Zukunft Wälder geben, aber es werden andere Wälder
sein», prognostiziert Hein. 
Besonders viele Eicheln 
Ein besonders Naturerlebnis bieten seinen Worten nach dieses Jahr die
Eichen, die in einer Reihe von Bundesländern viele Früchte trügen. So
ein Maximum komme im Schnitt nur alle fünf bis sechs Jahre vor. «Wenn
die Eicheln Anfang bis Mitte November herunterfallen und dabei auf
die Blätter darunter klatschen, ist das ein richtiges Konzert.» Hein
verweist auf die Tradition des Eichelsammelns, etwa im Spessart in
Bayern. An der Wiederbewaldung wirken so viele Familien in der Region
mit.
# Notizblock
## Redaktionelle Hinweise
- Zu diesem Text finden Sie Bilder mit folgendem Titel im dpa
Bildangebot:
- Samenernte in den Wipfeln der Weißtanne
## Internet
- [Forstliche Saatguterhebung 2023/24 des Bundesamtes für
Landwirtschaft und Ernährung](https://dpaq.de/l0btMcO)
* * * *
Die folgenden Informationen sind nicht zur Veröffentlichung bestimmt
## Ansprechpartner
- Roland Schockemöhle, Landesbetrieb Wald und Holz
Nordrhein-Westfalen Regionalforstamt Hochstift Forstamtsleiter
Stiftsstraße 15 33014 Bad Driburg - Neuenheerse Telefon: 05259
9865-13 Mobil: 0151 65631845 E-Mail:
roland.schockemoehle@wald-und-holz.nrw.de
- Prof. Dr. Sebastian Hein Professur für Waldbau, Waldbautechnik,
Forstpflanzenzucht, Ertragskunde; Wissenschaftlicher Leiter des
International Office, +49 7472/951-239, M.hein@hs-rottenburg.de
- Dr. Marius Zimmermann, Sachgebietsleiter Forstgenetik und
-vermehrungsgut im Zentrum für Wald und Holzwirtschaft des
Landesbetriebs Wald und Holz, +49 2931 7866417,
marius.zimmermann@wald-und-holz.nrw.de
## Kontakte
- Autor/in: Volker Danisch (Düsseldorf), +49 211 380339123,
danisch.volker@dpa.com
- Redaktion: Sigrun Stock (Berlin), 030 2852 30002,
stock.sigrun@dpa.com, Foto: Newsdesk, +49 30 2852 31515,
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