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Datum(37) Dienstag, der 21.10.2025, 06:00 Uhr
IDsan0007 4 pl 814 lsn 0179
BetreffSoziales/Sachsen/(KORR-Bericht) Arm trotz Arbeit: Vorurteile schmerzen Bürgergeldempfänger Von Hendrik Schmidt (Foto) und Jörg Schurig (Text), dpa (Foto Produktion)
TextViele Menschen sind trotz eines Jobs auf Bürgergeld angewiesen. Bei
wenig Lohn müssen sie auch noch mit Vorurteilen zurechtkommen.
Experten warnen vor sozialen Folgen einer Bürgergeld-Reform.
Chemnitz/Dresden (dpa/sn) - Saskia Schaarschmidt macht es traurig,
wenn Vorurteile über Bürgergeldempfänger in den Sozialen Medien oder
anderswo auftauchen. Denn diejenigen, die eine Arbeitsaufnahme
komplett verweigern, seien wohl nur eine kleine Minderheit, sagt die
25 Jahre alte Chemnitzerin. Die Debatte über das Bürgergeld sieht sie
mit Sorge. «Ich finde es auch schade, dass die Gesellschaft so wenig
auf die Bedürfnisse Betroffener eingeht.»
Schaarschmidt weiß, wovon sie redet. Die alleinerziehende Mutter
eines vierjährigen Sohnes hat einen Beruf erlernt, der heute dringend
gebraucht wird: Pflegefachkraft. Nach der Ausbildung arbeitete sie
bei einer Zeitarbeitsfirma und verdiente 1.900 Euro netto im Monat.
Dann wurde sie schwanger, schon in der Elternzeit bekam sie
Bürgergeld. 
Viele Bewerbungen blieben erfolglos 
Gern hätte sie wieder im alten Job gearbeitet. Doch wegen ihres
pflegebedürftigen Kindes fand sie trotz vieler Bewerbungen in
Krankenhäusern und Pflegeheimen keine neue Stelle - wegen mangelnder
Flexibilität. Da sie wegen fehlender familiärer Unterstützung bei der
Kinderbetreuung weder 12-Stunden-Schichten noch Spät- oder
Wochenenddienste leisten kann, ist sie für Arbeitgeber unattraktiv.
Schaarschmidt schulte um und arbeitet nun Teilzeit im
Sicherheitsdienst. In einer städtischen Behörde kontrolliert sie die
Termine der Bürger und hilft ihnen, an die richtige Stelle zu kommen.
Die Arbeit macht ihr Spaß, weil sie dort mit Menschen zu tun hat und
sie unterstützen kann.
Wenigstens das Kind soll alles haben 
Im Vergleich zu ihrem früheren Verdienst als Pflegefachkraft nimmt
sich das jetzige Einkommen eher bescheiden aus. «Ich kaufe oft
gebrauchte Sachen. Es gab Momente gegen Monatsende, wo ich nur noch
geschaut habe, dass wenigstens das Kind alles hatte.» Freunde halfen
ihr. Urlaub hat sie in den vergangenen vier Jahren nur ein einziges
Mal gemacht - auf einem Bauernhof. Das sei wunderschön gewesen. 
«Viele Leute sind nicht von sich aus im Bürgergeld gelandet, sondern
hätten einfach keine andere Chance bekommen», ist die 25-Jährige
überzeugt. Sie könne es nachvollziehen, dass sich Arbeitgeber eine
maximale Flexibilität wünschten. Dennoch gelte es auch die
Bedürfnisse der anderen Seite im Blick zu behalten.
Nicht einfach über Empfänger von Bürgergeld urteilen
Schaarschmidt hätte es etwa sehr geholfen, wenn es im Pflegeheim eine
Möglichkeit der Kinderbetreuung gegeben hätte. «Das wäre ja auch für
die Bewohner sehr schön gewesen, wenn sie mit Kindern hätten
zusammenkommen können.» Forschungen hätten gezeigt, dass auch
Pflegebedürftige davon profitieren könnten. Für die Zukunft wünscht
sie sich vor allem zwei Dinge: Dass Arbeitgeber deutlich flexibler
werden und Menschen über die Empfänger von Bürgergeld nicht so
einfach urteilen, ohne mit Betroffenen mal ins Gespräch gekommen zu
sein.
«Ob die Sozialleistung Hartz IV, Bürgergeld oder Grundsicherung
heißt: Wer eine schwere Zeit durchmacht, verdient ein
menschenwürdiges Existenzminimum», sagt Susanne Schaper,
Fraktionschefin der Linken im Landtag. Es gäbe Menschen, die sich
total verweigerten, aber deren Zahl sei verschwindend gering. 2024
hätte gerade mal ein Prozent der sächsischen Bürgergeld-Bezieher eine
Sanktion bekommen.
Mehr als 37.000 Bürgergeldempfänger in Sachsen gehen arbeiten
«Wir erleben bei diesem Thema eine Debatte, an deren Vergiftung sich
sogar der Bundeskanzler beteiligt - so als wären die Millionen
Menschen, die Bürgergeld brauchen, faul und würden im Luxus leben.
Das ist unsäglich und ungerecht gegenüber den Betroffenen. Die
übergroße Mehrheit bemüht sich darum, wieder auf eigenen Beinen zu
stehen», argumentiert Schaper. Tatsächlich seien viele von ihnen
berufstätig. In den vergangenen Jahren stieg die Zahl Betroffener,
2024 betraf das gut 37.400 Menschen. 
Schaper hält es für ein Unding, dass immer noch so viele Menschen im
Freistaat Bürgergeld brauchen, obwohl sie arbeiten. Unternehmer, die
ihren Beschäftigten einen ordentlichen Lohn vorenthielten, würden
bisher von der Allgemeinheit alimentiert. «Das können und dürfen wir
uns als Gesellschaft nicht länger leisten!» Sachsen dürfe kein
Niedriglohnland mehr sein - dafür müsse die Regierung Druck machen. 
Linke sehen beim Bürgergeld eine vergiftete Debatte
«Infolge der vergifteten Debatte wollen CDU und SPD jetzt wieder
stärker das Vermögen der Betroffenen angreifen, was deren
Lebensleistung entwertet. Wer nach Jahrzehnten im Job arbeitslos
wird, erhält für einige Zeit Arbeitslosengeld, danach droht
unmittelbar der soziale Abstieg. Das ist nichts, wofür sich eine
Regierung feiern sollte», wertet Schaper die jüngsten Entscheidungen
der Bundesregierung zum Bürgergeld.
Diakonie warnt vor sozialen Folgen der Bürgergeld-Reform
Die Diakonie Sachsen warnt vor sozialen Folgen der Bürgergeld-Reform
und sieht in der geplanten Verschärfung der Sanktionen ein Risiko für
den gesellschaftlichen Zusammenhalt, besonders in den
strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands. Restriktive Sanktionen
dürften nicht im Vordergrund stehen. Sie träfen nicht nur
Einzelpersonen, sondern könnten auch ganze Bedarfsgemeinschaften
belasten. Kinder oder Partner, die keine Pflichtverletzungen begangen
hätten, müssten geschützt werden.
«In Regionen mit hoher Armutsquote, niedrigen Löhnen und unsicheren
Beschäftigungsverhältnissen droht die geplante Reform, das Vertrauen
in den Sozialstaat weiter zu untergraben», sagt Diakonie-Chef
Dietrich Bauer. Wenn nun wieder Strafen und Leistungskürzungen in den
Vordergrund rückten, würden «Menschen verunsichert und ausgegrenzt,
statt gestärkt». «Das ist sozialpolitisch falsch und widerspricht
unserem Verständnis von sozialer Verantwortung.»
«Armutsfeste Grundsicherung» statt neuer Sanktionen
Bauer fordert statt neuer Sanktionen eine «armutsfeste
Grundsicherung», Investitionen in langfristige
Qualifizierungsprojekte und eine Sozialpolitik, die Familien stärkt
und Wohnungslosigkeit verhindert. «Soziale Sicherheit ist kein
Kostenfaktor, sondern die Basis unseres gesellschaftlichen
Zusammenhalts.»
# Notizblock
## Redaktionelle Hinweise
- Zu diesem Text finden Sie Bilder mit folgendem Titel im dpa
Bildangebot:
- Arm trotz Arbeit - Vorurteile schmerzen Bürgergeldempfänger
## Internet
- [Diakonie Sachsen](https://dpaq.de/QQlUu)
## Orte
- [Diakonie Sachsen](Obere Bergstraße 1, 01445 Radebeul, Deutschland)
- [Sächsischer Landtag](Bernhard-von-Lindenau-Platz 1, 01067 Dresden,
Deutschland)
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Die folgenden Informationen sind nicht zur Veröffentlichung bestimmt
## Ansprechpartner
- Nora Köhler, Pressesprecherin Diakonisches Werk der Ev.-Luth.
Landeskirche Sachsens e.V., +49 351 8315210, 49 176 15831521,

- Kevin Reißig, Pressesprecher Fraktion Die Linke im Sächsischen
Landtag, +49 351 493-5871, +49 152 219-58461,

## Kontakte
- Autor/in: Jörg Schurig (Dresden), +491715570137,
schurig.joerg@dpa.com
- Redaktion: Sigrun Stock (Berlin), +49 30 2852 30002,
stock.sigrun@dpa.com, Foto: Newsdesk, +49 30 2852 31515,
foto@dpa.com
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