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Datum(49) Donnerstag, der 04.09.2025, 12:23 Uhr
IDrhs0021 3 vm 875 lrs 0656
BetreffPolizei/Kriminalität/Gesundheit/Rheinland-Pfalz/Saarland/Touchme/(KORR-Bericht) Abschiedskuss vor jedem Dienst - «Weiß nicht, was passiert» Von Mona Wenisch, dpa (Foto aktuell vom 3.9.,)
TextSami Nettersheim verabschiedet sich jeden Tag bewusst von seiner
Familie - denn Gewalt im Dienst ist für den Polizisten längst Alltag.
Was ihn trotzdem weitermachen lässt.
Remagen (dpa/lrs) - Wenn Sami Nettersheim zum Dienst fährt, weiß er
nicht, was ihn erwartet. Sicher ist aber: Gewalt wird er erleben.
«Ich habe mit meiner Frau so eine Regel: Egal was passiert, auch wenn
wir uns mal gestritten haben, wir gehen nie im Schlechten
auseinander», sagt der 42-jährige Polizeihauptkommissar in Remagen.
«Ich gebe meiner Frau einen Kuss zum Abschied. Ich verabschiede mich
von meiner Frau, von meinen Kindern, weil ich nicht weiß, was im
Dienst passiert.»
Gewalt gehört zum Alltag bei den Einsätzen des Dienstgruppenleiters,
sei es verbal oder körperlich. «Allgemein habe ich das Gefühl, dass
eine grundlegende Aggressivität innerhalb der Gesellschaft herrscht,
Ellbogengesellschaft», sagt er. «Verbale Gewalt, nahezu täglich
passiert die bei uns, sei es durch irgendwelche lapidaren Sprüche,
aber auch gezielte Beleidigungen uns gegenüber bei Einsatzmaßnahmen,
auch von Unbeteiligten, die wirklich schon hingenommen werden.»
«Ich wollte immer schon Polizist werden»
Im schlimmsten Fall wird die Gewalt körperlich und endet im Tod von
Polizistinnen und Polizisten, wie vor zwei Wochen in Völklingen und
vorher in Kusel und Mannheim. In Kusel erschoss ein Wilderer eine
Polizistin und einen Polizisten, in Mannheim starb ein Polizist nach
einem Einsatz, bei dem er mit einem Messer verletzt wurde. In
Völklingen wurde ein Polizist nach einem Tankstellenüberfall
erschossen.
Mit Nettersheims Vorstellung vom Polizeiberuf hat das wenig zu tun.
«Es klingt immer so romantisch, aber ich wollte immer schon Polizist
werden», sagt er. «Ich habe immer schon ein sehr ausgeprägtes
Gerechtigkeitsdenken gehabt, wollte immer Menschen helfen und «was
Gutes» tun.» 2005 begann er mit dem Studium, seit rund 15 Jahren
arbeitet er im Wechselschichtdienst.
«Wir haben dann in einem Bachbett gekämpft»
Gefährliche und gewaltvolle Situationen hat er mittlerweile oft
erlebt. Manche Vorfälle sind ihm aber besonders im Kopf geblieben.
Noch am Anfang seiner Karriere war er mit einem Kollegen unterwegs,
um einen Haftbefehl zu vollstrecken. Die gesuchte Person flüchtete -
und Nettersheim rannte hinterher. «Ich war damals noch so unerfahren,
dass ich dem Jagdinstinkt unterlegen bin und hinter dem Mann her. Und
ehe ich mich versah, war ich alleine mit dem, habe ihn verfolgt»,
erinnert er sich. 
Die Person habe dann versucht, ihn eine Böschung runterzuschubsen,
letztlich seien sie zusammen die Böschung heruntergefallen. «Und wir
haben dann in einem Bachbett gekämpft», sagt er. Sein Funkgerät sei
durch das Wasser nicht mehr funktionsfähig gewesen. Er habe
schließlich die Oberhand gewonnen.
Bei einem anderen Einsatz stand Nettersheim plötzlich vor einem Mann
mit Messer. «Ich war mit einer Kollegin als Erstes vor Ort und wir
sind auf den psychisch auffälligen Mann getroffen», sagt er. «Ich
habe ihn mehrfach aufgefordert, das Messer fallen zu lassen, beim
letzten Mal mit dem deutlichen Hinweis, dass ich ansonsten schießen
muss.» Zum Glück habe der Mann das Messer fallen lassen, sagt der
Polizeihauptkommissar. Der Einsatz habe ihn nachhaltig beschäftigt.
«Der tragische Tod von Simon hat mich tatsächlich sehr getroffen»
Noch schlimmer als selbst Gewalt zu erleben, sei es für ihn, wenn
seine Kolleginnen und Kollegen Opfer von Gewalt werden. Weil man die
Verantwortung füreinander trage, sagt er. «Kusel war für die Polizei
Rheinland-Pfalz näher.» Der Tod des 34 Jahre alten Simon Bohr in
Völklingen «war für mich näher», sagt der 42-Jährige. «Der tragische
Tod von Simon hat mich tatsächlich sehr getroffen, weil ich auch zwei
kleine Kinder habe im vergleichbaren Alter. Ich habe mich in der
Situation gesehen, mich aber auch unglaublich geärgert, weil das
nicht hätte passieren dürfen.»
In Rheinland-Pfalz wurden 2024 rund 1.700 Gewaltdelikte gegen
Polizeibeamtinnen und -beamte erfasst. Die allermeisten davon fielen
in die Kategorie «Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf
Vollstreckungsbeamte». Die allermeisten Tatverdächtigen sind Männer.
«Innerhalb von einer Minute in einer lebensgefährlichen Situation»
In seinem Beruf sei es gefährlich, dass solche Situationen «von jetzt
auf gleich» entstehen könnten. «Wie in dem bedauerlichen Einsatz in
Völklingen, dass man aus Zufall die Streife ist, die am nächsten da
ist. Und dann ist man innerhalb von einer Minute in einer
lebensgefährlichen Situation.»
Noch gefährlicher seien vermeintlich harmlose Einsätze, bei denen man
nicht wisse, was einen erwarte. «Das ist die größte Gefahr in unserem
Beruf, finde ich, wie man ja bedauerlicherweise auch bei dem
Todesfall in Kusel gesehen hat», sagt er. «Es sind die
Ad-hoc-Einsätze, bei denen man nicht unbedingt damit rechnen kann, in
einen Angriff verwickelt zu werden oder angegriffen zu werden. Das
macht das Ganze so gefährlich.»
«Natürlich ist es auch ein Selbstschutz-Effekt» 
Als Beispiel nennt er Verkehrskontrollen. «Erstens, wer sitzt im Auto
und sind da vielleicht fünf Personen im Auto, die alle der Polizei
nicht gut gesonnen sind?», sagt er. «Die wissen vielleicht, sie haben
einen Haftbefehl offen oder sie haben negative Erfahrungen mit der
Polizei gemacht. Vielleicht sind Betäubungsmittel oder Waffen im
Fahrzeug. Das weiß ich alles nicht. Und deshalb sind das die
gefährlichen Situationen, in denen wir uns alltäglich bewegen.»
Nettersheim hat seine eigene Art, mit solchen Erlebnissen umzugehen.
Er ist Selbstverteidigungstrainer in Krav Maga, spricht mit seiner
«Polizeifamilie». «Ich bin grundsätzlich ein sehr emotionaler Mensch,
ein sehr sensibler Mensch, versuche das aber bewusst privat und
dienstlich zu trennen, weil es mich professioneller macht, diese
Dinge auch nicht an mich rankommen zu lassen», sagt er. «Natürlich
ist es auch ein Selbstschutz-Effekt.» 
Er fahre zur Arbeit und wisse nicht, was an diesem Tag passiere, sagt
er. «Für den einen ist es das Schlimmste, aber für mich ist es
eigentlich einfach das Allerbeste.»
# Notizblock
## Redaktionelle Hinweise
- Zu diesem Text finden Sie Bilder mit folgendem Titel im dpa
Bildangebot:
- Nach der Messerattacke in Mannheim - Gedenken
- Polizeihauptkommissar Sami Nettersheim
- Polizistenmorde bei Kusel
- Trauerfeier für erschossenen Polizisten
## Orte
- [Polizeiinspektion Remagen](In der Wässerscheid 32, 53424 Remagen,
Deutschland)
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Die folgenden Informationen sind nicht zur Veröffentlichung bestimmt
## Kontakte
- Autor/in: Mona Wenisch (Koblenz), 0160 6684742,
wenisch.mona@dpa.com
- Redaktion: Silke Sullivan (Berlin), +49 30 2852 30002,
deutschland-desk@dpa.com, Foto: Newsdesk, +49 30 2852 31515,
foto@dpa.com
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